Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung. Versagungsgrund in der Person des Erstgeschädigten. Anspruch der Hinterbliebenen
Orientierungssatz
Der Versagungsgrund des § 2 Abs 1 Alt 2 OEG schließt auch dann eigene Ansprüche des Hinterbliebenen nach § 1 Abs 1 S 1 OEG (hier: Schockschaden der Ehefrau mit dauernder psychischer Gesundheitsstörung) aus, wenn sich der Versagungsgrund des § 2 Abs 1 Alt 2 OEG nicht - auch - aus dem Verhalten des Hinterbliebenen sondern dem des Erstgeschädigten (Ehemann) ergibt.
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) beanspruchen können.
Die Klägerin 1 (geboren ... 1971) ist die Witwe des ... 1965 geborenen und ... 1995 von A H (im folgenden: Täter) getöteten I El-K (im folgenden: I.), mit dem sie seit 1989 verheiratet war. Die Kläger 2 bis 4 (geboren am ... 1990, ... 1991 und ... 1993) sind die Kinder der Klägerin aus der Ehe mit I.; alle sind Palästinenser. I. lebte seit 1985, die Klägerin bereits seit 1979 in Deutschland. Im Zeitpunkt des Todes von I. hatten alle eine Aufenthaltsbefugnis.
Durch Urteil des Schwurgerichts des Landgerichts Tübingen (LG) vom 10.05.1996 wurde der Täter wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Das LG traf darin zum Tathergang u.a. folgende Feststellungen: Am 01.07.1995 (Samstag) gegen 19.00 Uhr führte I. auf seinen Wunsch mit dem Täter auf dem Hof vor dem Haus, in dessen 1. Stock der Täter wohnte, mit diesem ein Gespräch wegen der Rückzahlung eines Darlehensrestes von 900 US-$. Das Darlehen hatte I. dem mit ihm bis dahin gut befreundeten späteren Täter Anfang 1995 gewährt. Es kam zu einer zunächst nur verbalen, heftigeren Auseinandersetzung. Dabei wurde auch darüber gestritten, ob und mit wem die Klägerin 1 einmal eine Diskothek aufgesucht hatte, und über den Umgang der Schwester J (J.) des Täters. Im Laufe der Diskussion befragten die Streitenden wegen des Verhaltens der Klägerin 1 die auf dem Hof anwesende M F und G C, kehrten danach in die Nähe der Haustüre des Täters und seines dort geparkten Autos zurück und stritten wegen der Familienangehörigen weiter. Als sie auseinanderzugehen schienen, machte I. eine Bemerkung zu dem aus einem Wohnungsfenster zuschauenden Bruder A des Klägers (A.), dieser solle seine Kinder in Ruhe lassen. Daraufhin wandte sich der Täter erneut zu I., der dem Täter erst einen Faustschlag ins Gesicht und dann in die Magengegend versetzte. Daraufhin zog der Täter ein Schweizer Taschenmesser, das er am vorangegangenen Wochenende geschenkt bekommen hatte, aus der Hosentasche, wobei die Befestigungskette sich löste. Der Täter öffnete die lange Klinge dieses Messers, richtete sie gegen I. und verlangte, in Ruhe gelassen zu werden. I. äußerte, er habe keine Angst vor dem Messer und ging wieder auf den Täter los, der daraufhin zustach und den rechten Arm des I. verletzte, der, von kleinerer Statur als der Täter, mit den Armen dessen Oberkörper von unten zu umfassen suchte. Daraufhin stach der Täter noch mehrfach auf I. ein und nahm ihn in den sogenannten Schwitzkasten, wobei einer oder beide gegen das Auto des Klägers stießen. Die von A. verständigte J. eilte herbei und trennte die Streitenden, indem sie I. nach hinten zog und aus der Umarmung des Klägers löste. I., dessen Kräfte nachließen, fiel auf den Boden, wobei J. als seine letzten, auf arabisch gesprochenen Worte sinngemäß verstand: Du hast mich überlistet. I. wurde von J. und N A, der von seinem Fenster im Nachbarhaus zugesehen hatte, in die Wohnung des Täters getragen, wo I. kurz darauf in Anwesenheit seiner zwischenzeitlich erschienenen Ehefrau verstarb. Nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. W, Gerichtsmedizinisches Institut der Universität T, hat I. u.a. einen Messerstich gegen die Brust erlitten, der das Brustbein durchtrennte, bis zum Herzen vordrang und an dessen Folgen I. verstorben ist. Denn der Herzbeutel habe sich daraufhin mit Blut gefüllt (Herztamponade). Der Einstich müsse vom Getroffenen gar nicht bemerkt worden sein, führe aber alsbald zu Übelkeit und zum Zusammenbruch des Kreislaufs. Der Tod trete spätestens vier Minuten nach dem Einstich ein.
Unter Bezugnahme auf dieses Urteil des LG beantragten die Kläger am 29.07.1997 beim Versorgungsamt R (VA) Leistungen nach dem OEG, und zwar für die Klägerin 1 Beschädigtenrente wegen eines sogenannten Schockschadens, Bestattungsgeld und Witwenrente sowie für die Kläger 2 bis 4 Waisenrenten. Das VA zog die Strafakten des LG bei. Gegenüber der Klägerin 1 lehnte das VA die Gewährung von Witwenrente und Bestattungsgeld mit Bescheiden vom 28.10.1997 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit Bescheid vom 28.11.1997 ab. Die Gewährung von Waisenrente lehnte das VA mit Bescheid vom 29.10.1997 gegenüber der Klägerin 4, mit Bescheid vom 30.10.1997 gegenüber dem Kläger 3 und mit Bescheid vom 31.10.1997 gegenüber...