Entscheidungsstichwort (Thema)
generativer Beitrag. soziale Pflegeversicherung. Beitragsnachlass in Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder. gesetzliche Rentenversicherung. zusätzliche über § 70 SGB 6 hinaus zu ermittelnde Entgeltpunkte
Leitsatz (amtlich)
Wegen der Erziehung von Kindern ist bei der Bemessung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung nicht ein dem Kinderlosenzuschlag entsprechender Nachlass für jedes Kind zu berücksichtigen und in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht kein Anspruch auf höhere Entgeltpunkte.
Orientierungssatz
1. Der Gesetzgeber war zur Umsetzung des Urteils des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 = BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 nicht verpflichtet, an die Zahl der Kinder anzuknüpfen, sondern er konnte allein die Elterneigenschaft als maßgebliches Kriterium für die unterschiedliche Beitragshöhe heranziehen. Durch den höheren Beitrag für Kinderlose werden Unterhaltsverpflichtete gegenüber den Kinderlosen bereits ab dem ersten Kind entlastet (vgl LSG Stuttgart vom 27.1.2012 - L 4 KR 3984/10 und L 4 KR 4537/10).
2. Zusätzliche Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten können über § 70 SGB 6 hinaus nach geltendem Recht nicht ermittelt oder gutgeschrieben werden. Ein derartiger Anspruch auf Berücksichtigung eines generativen Beitrags lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zur staatlichen Förderungspflicht von Familien im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ableiten (vgl BSG vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R = SozR 4-2600 § 157 Nr 1).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14. September 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Berufungsverfahren einen Beitragsnachlass wegen der Erziehung mehrerer Kinder in der sozialen Pflegeversicherung sowie die Berücksichtigung von Kosten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung in Form von zusätzlichen Entgeltpunkten.
Die 1967 geborene Klägerin, verheiratet und Mutter von vier in den Jahren 2001, 2002, 2004 und 2009 geborenen Kindern, war bis zum 15. April 2008 versicherungspflichtig beschäftigt und erzielte im Jahr 2008 einen Bruttolohn von € 5.970,97. Sie war eingruppiert in Tarifgruppe K 3 mit einer Wochenarbeitszeit von 33,3 Stunden. Im Jahr 2007 erzielte sie einen Bruttoarbeitslohn von € 20.734,00 und damit abzüglich Werbungskosten und Arbeitnehmer-Pauschbetrag Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von € 19.814,00. Sie ist bei der Beklagten zu 1) pflegepflichtversichert und bei der Beklagten zu 2) rentenversichert. Vom 9. Januar 2008 bis zum Ende der Beschäftigung zahlte sie Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von € 455,58, zur Rentenversicherung in Höhe von € 556,17; Arbeitslosenversicherung in Höhe von € 92,23; und zur Pflegeversicherung in Höhe von € 47,52 (SG-Akte S 9 KR 1001/08, Bl. 169). Für das Jahr 2007 erhielten sie und ihr Ehemann Kindergeld in Höhe von € 5.544. Vom 16. April 2008 bis 15. April 2009 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld I.
Der Ehemann der Klägerin führte - ohne Erfolg - ein Klageverfahren gegen die hiesige Beklagte zu 1) mit dem Ziel eines Beitragsnachlasses in der gesetzlichen Renten- und sozialen Pflegeversicherung wegen Berücksichtigung von Kindererziehung (Urteile des Sozialgerichts Mannheim [SG] vom 27. Oktober 2005 - S 11 KR 374/05 -; Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG] vom 24. Januar 2007 - L 5 KR 4854/05 - Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 9. Oktober 2007 - B 12 KR 28/07 B -).
I.
Am 9. Januar 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten zu 1) als Einzugsstelle, anstelle des gegenwärtig gegenüber kinderlosen Beitragszahlern in der Pflegeversicherung pauschal gewährten Beitragsnachlasses diesen je Kind zu gewähren für den Zeitraum, für den ein Anspruch auf Kindergeld für das jeweilige Kind bestehe. Außerdem beantragte sie, in der gesetzlichen Rentenversicherung die minimalen Kosten für ein Kind, festgemacht am steuerlichen Existenzminimum, abzüglich der bereits aus Kindergeld und Steuerfreibeträgen erstatteten Kosten und des bereits in der sozialen Pflegeversicherung berücksichtigten Beitragsnachlasses für den Zeitraum, für den ein Anspruch auf Kindergeld für das jeweilige Kind bestehe, leistungssteigernd oder beitragsmindernd anzurechnen. Die gegenwärtige Gleichbehandlung von Beitragszahlern mit nur einem Kind und solchen mit mehreren Kindern in der Pflegeversicherung sei noch immer verfassungswidrig. Der Gesetzgeber lasse nach wie vor das Ausmaß der tatsächlichen Unterschiede in der Erziehungsleistung von Beitragszahlern zur so...