Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Abrechnungsbestimmungen des Krankenhausvergütungsrechts. Maßgeblichkeit juristischer Auslegungsmethoden. Bluter iSd Zusatzentgelts (ZE) 2010-27
Leitsatz (amtlich)
1. Abrechnungsbestimmungen des Krankenhausvergütungsrechts sind streng wortlautbezogen auszulegen. Auf Fragen der Medizin kommt es grundsätzlich nicht an. Wegen der alleinigen Maßgeblichkeit juristischer Auslegungsmethoden tritt die medizinische Beurteilung in den Hintergrund; daher ist in vergütungsrechtlichen Streitigkeiten kein Raum für die Erhebung von (medizinischen) Gutachten (vgl LSG Stuttgart vom 24.2.2016 - L 5 KA 5799/11 = MedR 2016, 1013, in juris).
2. "Bluter" iSd Zusatzentgelts (ZE) 2010-27 (Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsfaktoren -"Bluter-ZE") sind nur Personen, die - im Sinne einer Behinderung - dauerhaft oder zumindest für einen längeren Zeitraum klinisch manifest an erhöhter Blutungsneigung leiden. Wer nur für einen vorübergehenden Zeitraum klinisch-manifest an erhöhter Blutungsneigung leidet, ist im (vergütungsrechtlichen) Sinne des Bluter-ZE nicht "Bluter", auch wenn der zeitlich beschränkten (ggf wiederholt auftretenden) klinischen Krankheitsmanifestation eine latente Krankheitsursache zugrunde liegt, die ihrerseits dauerhaft (lebenslang) besteht, wie etwa eine genetische Prädisposition zur Entwicklung des Faktor-VIII-Hemmkörpers.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.07.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 690.153,76 € endgültig festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung (Zusatzentgelt für die Behandlung einer Blutgerinnungsstörung mit Blutgerinnungsfaktoren).
Die Klägerin, ein Hochschulkrankenhaus, ist zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen (§ 108 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V). Die 1943 geborene A. K. (im Folgenden: Versicherte) ist Mitglied der Beklagten. Sie wurde vom 19.12.2010 bis 08.03.2011 im Klinikum der Klägerin stationär behandelt. Zuvor hatte sie sich im Herzzentrum L. einer Herzoperation unterzogen.
Mit Rechnung vom 02.06.2011 forderte die Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten nach Maßgabe der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) für das Jahr 2010 (FPV 2010) bzw. des ihr als Anlagen 1 und 4 beigefügten Fallpauschalen- und Zusatzentgelte-Kataloges (G-DRG-Version 2010) eine Vergütung i.H.v. insgesamt 848.667,34 €. Abgerechnet wurde zunächst die DRG (Diagnosis Related Group) A09B (Beatmung ≫ 499 und ≫ 1.000 Stunden mit komplexer OR-Prozedur oder Polytrauma oder intensivmedizinischer Komplexbehandlung, Alter ≫ 15 Jahre, mit sehr komplexem Eingriff oder komplizierender Konstellation). Als Hauptdiagnose wurde (nach ICD-10-WHO Version 2010) D68.31 (Hämorrhagische Diathese durch Vermehrung von Antikörpern gegen Faktor VIII, Vermehrung von Anti-VIIIa), als Nebendiagnosen wurden D66 (Hereditärer Faktor-VIII-Mangel, Inkl.: Faktor-VIII-Mangel ≪mit Funktionsstörung≫ Hämophilie A, klassisch und o.n.A.) und D68.8 (Sonstige näher bezeichnete Koagulopathien) angegeben (kodiert). Die Klägerin rechnete außerdem das mit der Beklagten krankenhausindividuell vereinbarte Zusatzentgelt ZE 2010-27 für die Gabe von Faktor-VIII-Präparaten ab (im Folgenden: Bluter-ZE). Auf dieses Zusatzentgelt entfällt ein Betrag von 690.153,76 €. In dem der FPV 2010 als Anlagen 4 und 6 beigefügten Zusatzentgelte-Katalog (Liste) bzw. Zusatzentgelte-Katalog (Definitionen) ist das ZE 2010-27 bezeichnet als: “Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsfaktoren„.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im MDK-Gutachten vom 01.12.2011 führte Dr. B. aus, bei der Versicherten sei ein erworbener (Blutgerinnungsfaktor-)Faktor-VIII-Hemmkörper bekannt; dieser sei im Herzzentrum L. in Zusammenarbeit mit der Klägerin erkannt worden. Die Versicherte sei bereits im Herzzentrum L. von der Klägerin hämostaseologisch betreut worden. Wegen zunehmender Akuität des Verlaufs habe man sie in das Klinikum der Klägerin verlegt. Dort sei eine immunsuppressive Therapie in Verbindung mit einer relativ hoch dosierten Faktor-VIII-Therapie begonnen worden. Zusätzlich habe man versucht, den vorhandenen Hemmkörper mit immunadsorptiven Maßnahmen sowie Plasmapherese zu verringern. Während der Therapie sei es immer wieder zu Blutungen gekommen; die Versicherte habe im Rahmen einer pulmonalen Blutung auch reanimiert werden müssen. Letztendlich sei es aber doch gelungen, unter der Therapie einen Faktor-VIII-Anstieg zuletzt auf 100% zu erreichen. Für die Therapie seien insgesamt 775.696 Einheiten Beriate® verbraucht worden. Bei der Versicherten liege ein besonders maligner Faktor-VIII-Antikörper vor. Die Blutungen seien teilweise so stark ge...