Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Höhe und Berechnung des Krankengeldes. freiwillig versicherter hauptberuflich Selbstständiger. Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage im Vorjahr und fehlender „Vorzeitraum“ mit Krankengeldanspruch. Abweichung vom Grundsatz der Bestimmung des Regelentgelts nach der letzten Beitragsfestsetzung. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Einkommensverhältnisse
Leitsatz (amtlich)
Von dem Grundsatz der Bestimmung des Regelentgelts nach der letzten Beitragsfestsetzung ist bei freiwillig Versicherten unter Berücksichtigung des Zwecks des Krankengelds abzuweichen, wenn im Kalenderjahr zuvor nur Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage gezahlt wurden und es keinen "Vorzeitraum" mit Krankengeldanspruch gab. Bei der Ermittlung des Regelentgelts sind in einem solchen Fall die tatsächlichen Einkommensverhältnisse ab Beginn des konkreten (einen Krankengeldanspruch erstmals mitumfassten) Versicherungsverhältnisses maßgeblich (hier: Krankengeld in Höhe von Null).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. September 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligte ist die Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum 21. April bis 22. Dezember 2020 streitig.
Der 1968 geborene Kläger ist als Unternehmensberater und Coach hauptberuflich selbständig tätig. Er war bis zur Beendigung der Mitgliedschaft zum 31. Dezember 2020 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert, zunächst ohne Anspruch auf Krankengeld. Die Beiträge wurden zuletzt aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2016, aus dem Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 137.153,00 € hervorgingen, aus der Beitragsbemessungsgrenze erhoben.
Am 7. Januar 2020 bescheinigte K1 dem Kläger Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines zerebralen Aneurysmas sowie einer zerebralen arteriovenösen Fistel bis 17. Januar 2020. Am 15. Januar 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, er wolle sich ab dem nächsten Monat mit Anspruch auf Krankengeld ab dem 43. Tag einer Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung versichern. Er sei seit dem 17. Januar 2020 arbeitsunfähig. Mit Bescheid vom 11. Februar 2020 lehnte die Beklagte die Umstellung der Versicherung in eine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld wegen bestehender Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab. Auf dessen erneute Wahlerklärung vom 12. Februar 2020, mit der er angab, arbeitsfähig zu sein, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 5. März 2020 die freiwillige Krankenversicherung mit Anspruch auf Krankengeld fest. Unter Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrenze von 4.687,50 € monatlich (156,25 € täglich) setzte sie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für Februar 2020 auf 843,75 € und ab März 2020 auf monatlich 871,88 € fest. Am 18. März 2020 stellte der Kläger einen Antrag auf Ermäßigung seiner Mitgliedsbeiträge. Zur Begründung gab er an, er habe inzwischen eine langfristigere Prognose für das Jahr 2020. Große Teile seiner Branche seien zum völligen Stillstand gekommen; außer den Einkünften im Januar (aus der Arbeit in 2019) könne er für 2020 kein Einkommen absehen. Er bitte deshalb um Reduzierung seiner Beiträge gemäß beigefügtem Antrag. Auf dem Antragsformular bezifferte er die voraussichtlichen durchschnittlichen monatlichen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in den kommenden zwölf Monaten mit 1.500,00 €. Er legte außerdem ein Schreiben seiner Steuerberaterin H1 vom 24. März 2020 vor, wonach der Einkommensteuerbescheid für 2018 noch nicht vorliege, aufgrund der eingereichten Steuererklärung 2018 aber mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 163.431,00 € zu rechnen sei. Der Kläger wies ergänzend hierzu darauf hin, dass sein Einkommen im Jahr 2020 aufgrund der Coronakrise in keinem Zusammenhang mit dem Einkommen aus dem Jahr 2018 stehe. Mit Bescheid vom 25. März 2020 reduzierte die Beklagte die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung rückwirkend ab dem 1. März 2020 auf vorläufig monatlich 197,47 € (155,00 € Kranken- und 7,43 € Pflegeversicherung). Der Beitragsberechnung legte sie die Mindestbeitragsbemessungsgrenze von 1.061,67 € und ein zu berücksichtigendes Einkommen von „0,00 €“ zugrunde.
Am 22. April 2020 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des B1 vom 10. März 2020 Krankengeld. B1 schrieb den Kläger ab dem 10. März 2020 zunächst bis zum 30. März 2020 wegen der Diagnose F48.0 (Neurasthenie) arbeitsunfähig. In der Folge bescheinigte B1 wegen dieser Diagnose Arbeitsunfähigkeit bis 22. Dezember 2020 (am 27. März 2020 voraussichtlich bis 27. April 2020, am 27. April 2020 voraussichtlich bis 27. Mai 2020, am 25. Mai 2020 voraussichtlich bis 24. Juni 2020, am 24. Juni 2020 voraussichtlich bis 6. Juli 2020, am 6. Juli 2020 bis voraussichtlich 5. August 2020, am 5. August 2020 bis voraussichtlich 4. September 2020, am 4. September 2020 bis voraussichtl...