Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nothilfe. Eilfallzuständigkeit. keine Aufwendungserstattung des Nothelfers nach Kenntnis des Sozialhilfeträgers. Verfassungsmäßigkeit. keine Abtretung von zukünftigen Sozialhilfeansprüchen. sozialgerichtliches Verfahren. Prozesszinsen. kein Verböserungsverbot in Kostenentscheidung. Sozialhilfeträger als Verfahrensbeteiligte
Leitsatz (amtlich)
1. Zuständiger Träger der Sozialhilfe ist in Eilfällen derjenige, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte zum Zeitpunkt des Hilfebedarfs tatsächlich aufhält. Wird der Hilfebedürftige zum Zwecke der Hilfe im Eilfall über die Zuständigkeitsgrenzen mehrerer Sozialhilfeträger transportiert, aktualisiert sich die Eilzuständigkeit jeweils neu, sodass diese dort verbleibt, wo die Nothilfe erbracht wird.
2. Der Nothelferanspruch besteht (nur) für die Zeit bis zur Kenntnis des Sozialhilfeträgers von dem Hilfebedarf. Für Hilfen ab diesem Zeitpunkt besteht dem Grunde nach ein Hilfeanspruch des Hilfebedürftigen und der Nothelfer trägt das Risiko der Zahlungsunfähigkeit bzw. der mangelnden Durchsetzung dieses Hilfeanspruchs.
Orientierungssatz
1. Die Passivlegitimation für die Erstattung der Nothilfekosten trifft nach § 25 SGB 12 den Sozialhilfeträger, der bei rechtzeitiger Kenntnis die Sozialhilfe zu gewähren gehabt hätte (vgl BVerwG vom 14.6.2001 - 5 C 21/00 = BVerwGE 114, 326 = FEVS 53, 97)
2. Die Entscheidung des Gerichts, dass der Nothelfer (hier: Krankenhaus), keinen Anspruch aus § 25 SGB 12 herleiten kann, der die Leistung auch nach Kenntniserlangung des Sozialhilfeträgers von dem Hilfeanspruch fortgewährt, stellt keinen enteignungsgleichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb iS des Art 14 Abs 1 GG dar (vgl BGH vom 10.2.2005 - III ZR 330/04 = VersR 2005, 798).
3. Dem Nothelfer verbleibt die Möglichkeit, auf den Hilfebedürftigen (hier: Patient) hinsichtlich der Durchsetzung seines Sozialhilfeanspruchs einzuwirken; hierbei kann er auf Einverständniserklärungen zur Direktauszahlung möglicher Sozialhilfeansprüche unmittelbar an den Nothelfer zurückgreifen; eine vorab erfolgende Abtretung der Sozialhilfeansprüche des Hilfebedürftigen zur Sicherung der entstehenden Behandlungskosten kommt wegen § 17 Abs 1 S 2 SGB 12, der lex specialis zu § 53 Abs 2 Nr 1 SGB 1 ist, nicht in Betracht.
4. Zum Bestehen einer Rechtsgrundlage für einen Zinsanspruch in Verbindung mit dem Aufwendungserstattungsanspruch aus § 25 SGB 12.
5. Die Kostenentscheidung kann zu Ungunsten des Klägers geändert werden; das Verbot der reformatio in peius gilt hier nicht (vgl BSG vom 10.9.1987 - 10 RAr 10/86 = BSGE 62, 131 = SozR 4100 § 141b Nr 40).
6. Verfahren, in denen Sozialhilfeträger als Kläger oder Beklagter beteiligt sind und die nicht Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Sozialhilfeträgern zum Gegenstand haben, sind keine gerichtskostenfreien Verfahren; die Kostenentscheidung hat deshalb nach § 197a SGG und nicht nach § 193 SGG zu erfolgen (vgl LSG Essen vom 9.1.2007 - L 20 B 137/06 SO = FEVS 58, 513).
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. September 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten örtlichen Träger der Sozialhilfe die Erstattungen von Aufwendungen, die durch den Aufenthalt und die Behandlung des D.L. (D. L.) in seiner Klinik während der Zeit vom 16. August bis 13. Oktober 2005 entstanden sind.
Der am ... 1939 geborene D. L. ist langjährig alkoholabhängig. Ungefähr seit 1990 ist er ohne festen Wohnsitz und hält sich in ganz Deutschland auf, nach eigenen Angaben zuletzt drei Wochen in H., zwei Wochen in P., ungefähr vom 5. bis 30. Juli 2005 in E. und ab 30. Juli 2005 in der Stadt He. . Polizeilich gemeldet war er zu dieser Zeit in W. (W.-M.-Kreis). Eine Regelaltersrente bezieht D. L. mangels Erfüllung der Wartezeit nicht. Am 2. August 2005 stellte sich D. L. bei den praktischen Ärzten Dres. J. in He. vor, da trotz des Konsums von bis zu 12 l Bier und 0,7 l Whisky pro Tag die vegetative Entzugssymptomatik erheblich zugenommen hatte. D. L. wurde als Notfall in die Ambulanz der psychiatrischen Universitätsklinik He. eingewiesen und von dort noch am 2. August 2005 in das Psychiatrische Zentrum des Klägers eingewiesen. Dort wurde D. L. bis 8. August 2005 auf der Aufnahmestation (Gerontopsychiatrie) behandelt und anschließend (laut Epikrise erst ab 11. August 2005) auf eine suchttherapeutisch ausgerichtete Station für chronisch mehrfach geschädigte Suchtkranke mit Komorbidität übernommen. Am 14. Oktober 2005 verließ D. L. ohne weitere Absprache das Psychiatrische Zentrum und wurde, da keine Eigen- oder Fremdgefährdung vorlag, als entlassen gemeldet. Eine Mitgliedschaft von D. L. bei der allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Schleswig-Holstein bestand bis zum 16. April 2005. Gleichwohl übernahm die Krankenkasse die Kosten für den stationären Aufenthalt für D. L. bis einschließlich 15. ...