Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. Anspruchsberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländerinnen und Ausländern. Beantragung eines Aufenthaltstitels. Fiktionsbescheinigung. Fiktion des erlaubten Aufenthalts. Differenzierung nach Vorhandensein eines bisherigen Aufenthaltstitels. Verfassungsrecht. Gleichheitssatz. Schutz der Familie
Orientierungssatz
1. Eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs 3 S 1 AufenthG 2004 (Fiktion des erlaubten Aufenthalts bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über einen Antrag auf einen erstmaligen Aufenthaltstitel) genügt nicht, um für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerinnen und Ausländer einen Anspruch auf Elterngeld zu begründen.
2. Demgegenüber ist der fiktive Fortbestand eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels nach § 81 Abs 4 S 1 AufenthG 2004 ausreichend, um von § 1 Abs 7 BEEG erfasst zu werden (vgl LSG München vom 18.12.2013 - L 12 EG 31/12).
3. Der Ausschluss vom Elterngeld für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerinnen und Ausländer ohne Aufenthaltstitel verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG in der hier ausschlaggebenden Ausprägung als Willkürverbot iVm Art 6 GG.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20.10.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Elterngeld.
Die 1999 geborene Klägerin ist albanische Staatsangehörige und hält sich seit dem 01.09.2021 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie verfügte zunächst über eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), eine Erwerbstätigkeit war ihr nicht gestattet (Bl. 35 Verwaltungsakte).
Am 08.06.2022 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat ihrer 2021 geborenen Tochter M1. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.06.2022 mit der Begründung ab, die Klägerin besitze nicht die deutsche Staatsangehörigkeit bzw. die eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz, so dass ein Anspruch auf Elterngeld nur für die Lebensmonate bestehe, in denen die Klägerin über einen Aufenthaltstitel verfüge, der nach § 1 Abs. 7 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zum Bezug von Elterngeld berechtige. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2022 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.10.2022 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und eine am 20.10.2022 ausgestellte vorläufige Bescheinigung über einen bewilligten Aufenthaltstitel (Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG) vorgelegt. Sie verfüge über eine Aufenthaltserlaubnis und habe deren Verlängerung beantragt. Die Fiktionsbescheinigung stelle den erforderlichen Titel dar. Die Dauer des Verwaltungsverfahrens dürfe nicht dazu führen, dass Leistungen vereitelt würden. Dies verstoße gegen Art. 3 sowie Art. 6 Grundgesetz (GG). Sie halte sich ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes rechtmäßig mit Aufenthaltstitel in Deutschland auf. Sie sei als Familienmitglied zu einem Daueraufenthalt berechtigt gewesen.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht über eine elterngeldrelevante Aufenthaltserlaubnis i.S.v. § 1 Abs. 7 BEEG verfügt. Die jetzt eingereichte Bescheinigung sei erst am 20.10.2022 und damit nach Ablauf des Bezugszeitraums ausgestellt worden. Die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 AufenthG habe ihr keine Erwerbstätigkeit gestattet. Hierdurch werde lediglich die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes fingiert.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2023 hat das SG die Klage abgewiesen und sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides bzw. des Widerspruchsbescheides sowie die Gründe im Beschluss des Senats im PKH-Beschwerdeverfahren ( L 11 EG 2046/23 B) bezogen.
Gegen den am 23.10.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03.11.2023 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben unter Wiederholung der bisherigen Begründung. Die Differenzierungen zwischen den sogenannten Fiktionsbescheinigungen dürften nicht als Rechtfertigung für die Diskriminierung der Klägerin dienen. Die Klägerin hätte einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Dass das Verwaltungsverfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Zeit in Anspruch nehme, dürfe der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20.10.2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2022 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 01.10.2021 bis 30.09.2022 Elterngeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat ausgeführt, es komme allein auf den Besitz des entsprechenden Aufenthaltstitels an und eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 AufenthG genüge nicht, einen Anspruch auf Elterngeld zu...