Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen B. notwendige Begleitperson für einen behinderten Menschen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Voraussetzungen. Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bescheids bezüglich der Feststellung einzelner gesundheitlicher Merkmale. Folgen unrichtiger Sachbearbeitung

 

Orientierungssatz

1. Zu den Voraussetzungen der Berechtigung für eine ständige Begleitung (Merkzeichen B) bei einem behinderten Menschen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit.

2. Die Entscheidung der Behörde der Versorgungsverwaltung, mit der die gesundheitlichen Merkmale gemäß § 152 Abs 4 SGB 9 2018 festgestellt werden, ist für andere Behörden und Gerichte verbindlich.

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.12.2017 wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) „B“ (Begleitperson) zusteht.

Die 1952 geborenen Klägerin ist ein GdB von 100 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Taubheit beidseits, Schwindel (GdB 80); degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose), Gelenkbeschwerden (GdB 30); Verlust der linken Brust, Teillähmung des linken Armnervengeflechts (GdB 40); Depression (GdB 20)) sowie die Merkzeichen „Gl“, „G“ und „RF“ zuerkannt.

Am 22.08.2016 beantragte die Klägerin beim Landratsamt R. (LRA) die Feststellung des Merkzeichens „B“ (Blatt 149/151 der Beklagtenakte). Zu ihrem Antrag verwies sie darauf, dass sie durch die Taubheit bei der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel auf Hilfe angewiesen sei. Sie höre z.B. Durchsagen nicht und finde sich bei Fahrplanänderungen nicht zurecht.

Das LRA zog Befundunterlagen vom HNO-Arzt Dr. M. bei (dazu vgl. Blatt 153/154 der Beklagtenakte).

Der Versorgungsarzt Dr. L. verneinte in seiner Stellungnahme vom 27.10.2016 (Blatt 159/160 der Beklagtenakte) das Merkzeichen „B“. Es seien keine neuen Befunde aktenkundig, die „B“ belegen könnten. Daraufhin lehnte das LRA mit Bescheid vom 23.11.2016 (Blatt 161/162 der Beklagtenakte) die Feststellung des Merkzeichens „B“ ab.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 19.12.2016 (Blatt 163/164 der Beklagtenakte) begründete die Klägerin u.a. damit (Blatt 167/168 der Beklagtenakte), dass sie unter einer Taubheit leide und das Merkzeichen „B“ dann zuzusprechen sei, wenn bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel die Hilfe einer Begleitperson benötigt werde. Diese Notwendigkeit werde stets angenommen bei hochgradigen Hörbehinderungen. Bei ihr liege eine Hörbehinderung vor, die auch nicht durch das Hörgerät ausgeglichen werden könne.

Der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 24.01.2017 (Blatt 169 der Beklagtenakte) folgend wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.02.2017, Blatt 171/172 der Beklagtenakte).

Die Klägerin hat unter Vorlage eines Attestes von Dr. M. vom 27.03.2017 am 20.03.2017 beim Sozialgericht (SG) Mannheim Klage erhoben. Ihr HNO-Arzt habe bestätigt, dass die Hörgeräteversorgung nicht ausreiche um die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beidseits zu kompensieren. Er empfehle die Anerkennung des Merkzeichens „B“.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen.

Der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. M. hat dem SG am 10.05.2017 (Blatt 25/27 der SG-Akte) geschrieben, die Klägerin leide unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, die auch durch eine Hörgeräteversorgung nicht ansatzweise befriedigend kompensiert werden könne. Es erscheine angemessen, das Merkzeichen „B“ anzuerkennen.

Dr. U. , Ärztin für Allgemeinmedizin, u.a., hat dem SG am 16.05.2017 geschrieben (Blatt 28/34 der SG-Akte), die Klägerin wirke in den letzten Monaten deutlich verunsicherter und weniger souverän im Umgang mit auftretenden Beschwerden. Von Seiten der Praxis müsse man vermehrt Hilfestellung leisten z.B. Terminabsprachen, Erklärung von Befunden. Es bestehe die Berechtigung für eine ständige Begleitung, da die Klägerin stark hörbehindert und bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bei der Orientierung auf fremde Hilfe angewiesen sei, sobald sich eine Änderung im Fahrablauf ergebe.

Hiergegen hat der Beklagte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. (Arzt für Radiologie-Sozialmedizin-Öffentliches Gesundheitswesen) vom 06.06.2017 (Blatt 37/38 der SG-Akten) u.a. darauf hingewiesen, dass bei Gehörlosen oder bei Menschen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit die Annahme der Notwendigkeit ständiger Begleitung nur bei erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion gerechtfertigt sei. Derart...

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