Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Apothekenvergütung. Arzneimittelabgabe. verschiedene Regelungen zur Ermittlung des maßgeblichen Abgabepreises. Auslegungsfähigkeit einer Preisbestimmung im Arzneiversorgungsvertrag. keine Pflichtverletzung des Landesapothekerverbands. § 1 Abs 3 S 1 Nr 6 AMPreisV aF sowohl auf plasmatische als auch auf rekombinante Faktorpräparate anwendbar

 

Orientierungssatz

1. Allein aus dem Umstand, dass Streit zwischen einer Krankenkasse und einer Apotheke über die Auslegung einer Preisbestimmung im Arzneiversorgungsvertrag (iVm der AMPreisV) besteht, kann keine Pflichtverletzung des Landesapothekerverbands (LAV) gegenüber seinen Mitgliedern hergeleitet werden, welche den LAV zum Schadensersatz gegenüber dem Apotheker verpflichten würde. Erforderlich und ausreichend ist alleine die Auslegungsfähigkeit und die gerichtliche Überprüfbarkeit der Regelungen.

2. Die Regelung des § 1 Abs 3 S 1 Nr 6 AMPreisV idF vom 26.3.2007 ist sowohl auf plasmatische (= aus menschlichem Blutplasma gewonnene) als auch auf rekombinante (= gentechnologisch hergestellte) Faktorpräparate, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit bestimmt sind, anzuwenden.

2. Zur Retaxation der Vergütung von Arzneimittelabgaben auf Null bei verschiedenen Regelungen zur Ermittlung des maßgeblichen Abgabepreises.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.05.2019 wird zurückgewiesen.

Die weitergehende Widerklage wird abgewiesen.

Die im Berufungsverfahren erhobene Feststellungsklage wird abgewiesen.

Der Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 635.092,20 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Arzneimittelabgaben im Zeitraum vom 24.11.2014 bis 30.09.2015.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in Bayern. Der Beklagte ist Apotheker und Inhaber der Apotheke in K1. Zwischen Mai 2013 und September 2015 gab der Beklagte an insgesamt 14 Tagen (davon entfielen auf den streitigen Zeitraum Arzneimittelabgaben an fünf Tagen) zu Gunsten des bei der Beklagten versicherten Schwiegersohnes des Beklagten G1 (im Folgenden: Versicherter) das Arzneimittel Kogenate der Firma G2 auf entsprechende ärztliche Verordnung hin ab. Dieses Arzneimittel dient zur Behandlung von Hämophilie, einer angeborenen Störung der Blutgerinnung (sog. Bluterkrankheit). Der Klägerin stellte der Beklagte für die fünf streitgegenständlichen Arzneimittelabgaben am 10.12.2014, 10.03.2015, 10.04.2015, 12.08.2015 und 12.10.2015 zwischen 63.411,20 € und 161.909,20 € in Rechnung. Die Anzahl der verordneten und an den Versicherten abgegebenen Packungen schwankte zwischen 30 und 60 Stück. Insgesamt erhielt der Versicherte im streitgegenständlichen Zeitraum 240 Packungen, wofür der Beklagte gegenüber der Klägerin 630.092,20 € abrechnete. Den Abrechnungen gegenüber der Klägerin legte der Beklagte - außer für die Arzneimittelabgabe aufgrund der (letzten) Verordnung vom 22.09.2015 - nicht seinen tatsächlichen Einkaufspreis des Arzneimittels, welcher zwischen 2.070,00 € netto und 1.700,00 € netto lag, sondern dessen sog. Listenpreis nach der Großen Deutschen Spezialitäten-Taxe (sog. Lauer-Taxe) zugrunde. Dieser belief sich auf 2.195,20 € netto pro Packung. Auf den an die Klägerin zur Abrechnung vorgelegten Verordnungsblättern wies der Beklagte die vom Versicherten geleistete Zuzahlung sowie den geltend gemachten Abrechnungsbetrag aus. Den vom Hersteller ihm gegenüber in Rechnung gestellten Abgabepreis gab er nicht an.

Die Klägerin beglich die Rechnungen zunächst vollständig.

Erst als die Klägerin vom behandelnden Arzt des Versicherten darauf aufmerksam gemacht wurde, dass der Arzneimittelabgabe von Kogenate ein geringerer Abgabepreis als der sog. Listeneinkaufspreis zugrunde lag, wandte sie sich an das Abrechnungszentrum E, welches für die Klägerin die Abwicklung und Begleichung von Forderungen der Leistungserbringer sowie ggf. die Rechnungsprüfung übernimmt. Im Auftrag der Klägerin bat das Abrechnungszentrum den Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2015 um Mitteilung der jeweiligen tatsächlichen Abgabepreise der Arzneimittel, welche der Versicherte aufgrund der ärztlichen Verordnungen vom 18.11.2014, 30.01.2015, 24.03.2015 und 10.07.2015 von ihm erhalten hatte (sog. Preisanfrage). Daraufhin übersandte der Beklagte dem Abrechnungszentrum vier Rechnungen der Firma G2 vom 20.11.2014, 17.02.2015, 30.03.2015 und 17.07.2015. Anhand des sich daraus ergebenden Bruttoeinkaufspreises berechnete die Klägerin den aus ihrer Sicht berechtigten Abrechnungsbetrag unter Zugrundelegung der Vorgaben nach dem Ergänzungsvertrag zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Baden-Württemberg (ALV). Dieser lag 67.020,88 € unter dem vom Beklagten gegenüber der Klägerin geltend gemachten Abrechnungsbetrag.

Mit Schreiben vom 16.11.2015 teilte das Abrechnungszentrum dem Beklagten auf V...

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