Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Apotheker. Arzneimittelabgabe. Ermittlung des Herstellerabgabepreises. öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Verhältnis zwischen landesrechtlichen Verträgen und Rahmenverträgen
Orientierungssatz
1. Eine Zahlungsklage einer Apotheke gegen eine Krankenkasse auf Rückzahlung aufgerechneter Vergütungsbeträge ist im Rahmen des von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu beurteilen (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 3/10 R = BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6).
2. Gegenüber landesrechtlichen Verträgen sind Rahmenverträge nach § 129 Abs 2 SGB 5 als höherrangiges Recht anzusehen. Denn nach § 129 Abs 5 S 1 SGB 5 können in den Verträgen auf Landesebene nur ergänzende, nicht aber vom Rahmenvertrag abweichende (nur anders für einen Sonderfall in § 129 Abs 5 S 4) oder diesem widersprechende Regelungen getroffen werden.
3. Zur Frage der Ermittlung des "Herstellerabgabepreises" in einem Arzneimittelliefervertrag (hier zwischen dem Landesapothekenverband Niedersachsen eV und den Landesverbänden der Krankenkassen Niedersachsen) bei der Kürzung von Arzneimittelabrechnungen durch die Krankenkasse im Wege der sog Retaxierung.
Tenor
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte an den Kläger einen Betrag von 20.141,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 5.253,60 Euro seit dem 17. Juni 2006 und aus weiteren 14.888,00 Euro seit dem 8. Januar 2007 zu zahlen hat.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 20.141,60 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger ist Inhaber und Leiter der Apotheke "A." in I. Er macht gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch geltend, nachdem diese seine Arzneimittelabrechnungen im Wege der sogenannten Retaxation gekürzt hat. Es ist ein Betrag in Höhe von 20.141,60 € streitig.
Grundlage der Beanstandung durch die Beklagte waren die von dem Kläger an den bei der Beklagten krankenversicherten M. J. abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel "Beriate P 1000 IE ". Bei diesem Arzneimittel handelt es sich um ein aus humanem Plasma gewonnenen Präparat, das als blutstillendes Mittel zur intravenösen Anwendung bei angeborenem Blutgerinnungsfaktor VIII (Bluterkrankheit) angewendet wird.
Der Kläger gab im August 2004 20 Ampullen "Beriate P 1000 IE " und im September 2004 40 weitere Ampullen des Medikaments an den Versicherten ab und stellte der Beklagten dafür 57.789,00 € (963,15 € pro Ampulle) in Rechnung. Dabei ermittelte der Kläger seinen Preis auf der Grundlage der Preisangaben in der "Großen Deutschen Spezialitätentaxe" (Lauer-Taxe) zum Herstellerabgabepreis (= "EK: 803,00"). Dem EK von 803,00 € setzte der Kläger einen Aufschlag von 3,4 % netto entsprechend § 6 Abs. 3 c) des Arznei-Liefervertrages - ALV - und die gesetzliche Mehrwertsteuer in Höhe von 16 % hinzu. Danach ergab sich der Kaufpreis von 963,15 € (= 803,00 € + 3,4 % + 16 % MwSt).
Mit Schreiben vom 17. Juni 2005 beanstandete die Beklagte diese Berechnungsweise und forderte vom Kläger zu den ärztlichen Verordnungen die Rechnungskopien an. Der Kläger erhob daraufhin über den Landesapothekenverband Niedersachsen e.V. Einspruch gegen die "Tax-Beanstandung", wobei er darauf hinwies, dass nach § 4 Abs. 2 des ALV die Krankenkasse nur dann berechtigt sei, Rechnungskopien der Lieferfirma anzufordern, wenn es sich um Artikel handele, die weder in der "Lauer-Taxe" noch in den Anlagen zum ALV mit einem Einkaufspreis aufgeführt seien. Für Beriate P sei jedoch in der "Lauer-Taxe" ein Einkaufspreis hinterlegt. Dementsprechend sei auch die Taxbeanstandung nicht gerechtfertigt. Demgegenüber vertrat die Beklagte mit Schreiben vom 22. September 2005 die Auffassung, dass für die Preisberechnung der Blutkonzentrate, die nicht unter die Arzneimittelpreisverordnung fielen, nicht § 6 Abs. 1 des ALV, sondern die Absätze 2 und 3c der vorgenannten Regelung anzuwenden seien. Nachdem der Kläger die angeforderten Rechnungskopien übersandt hatte, kürzte die Beklagte die Rechnung des Klägers mit einem Betrag in Höhe von 5.253,60 € und teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 4. November 2005 mit. Den vom Kläger am 19. Dezember 2005 erhobenen Einspruch wies ist die Beklagte am 10. Januar 2006 zurück; sie verrechnete am 17. Juni 2006 den Absetzungsbetrag mit einer Forderung des Klägers.
Der Kläger hat am 24. August 2006 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte weitere Abrechnungen des Klägers aus 2005 geprüft, die ebenso die an den Versicherten M. J. gelieferten Beriate P 1000 IE betreffen. Mit gleicher Begründung wie im Vorjahr hat sie eine Taxbeanstandung in Höhe von 14.888,00 € vorgenommen (Schreiben vom 3. August 2006). Den vom Kläger am 26. September 2006 eingelegten Einspruch hat sie am 19. Oktober 2006 zurückgewiesen. Am 8. Januar 2007 erfolgte die V...