Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Klagefrist. Wiedereinsetzung. Verschulden. Sorgfaltspflicht. Überwachung des Posteingangs. Verschulden des Rechtsanwalts

 

Orientierungssatz

1. Ein nach Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung begehrender Kläger muß glaubhaft machen, daß er sich täglich bei der Familie nach dem Posteingang erkundigt hat, insbesondere wenn in der Vergangenheit der Briefkasten von wechselnden im Haushalt lebenden Personen geleert wurde.

2. Teilt der Prozeßbevollmächtigte dem Kläger schriftlich mit, daß er ohne ausdrückliche Beauftragung durch den Kläger keine Klage einreichen wolle, ohne ihm eine geeignete Rückmeldefrist zu setzen, so ist dieses Verfahren von vornherein mit dem Risiko einer Fristversäumung behaftet und stellt einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.01.2001; Aktenzeichen B 7 AL 8/00 R)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die Berechtigung der Beklagten, die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) auch vom 22. März 1997 bis 13. Juni 1997 wegen des Eintritts einer Sperrzeit aufzuheben und vom Kläger die Erstattung überzahlter Leistungen und von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zu verlangen. Vorab ist darüber zu entscheiden, ob dem Kläger gegen die Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Der ... 1958 geborene Kläger türkischer Nationalität, der seit seiner erstmaligen Arbeitslosmeldung im April 1977 meist nur kurzfristig beschäftigt war und wiederholt im Leistungsbezug der Beklagten stand, erhielt im Anschluß an die Erschöpfung des letzten Anspruches auf Arbeitslosengeld (Alg) am 29. Juli 1996 Alhi, die ab 01. Februar 1997 in Höhe eines wöchentlichen Leistungssatzes von 280,20 DM (46,70 DM täglich) fortbewilligt wurde (Bescheid vom 29. Januar 1997).

Vom 10. März bis 21. März 1997 war der Kläger als Bauhelfer bei dem in W ansässigen Betrieb Dienstleistungen für das Dach beschäftigt, wovon das Arbeitsamt H (AA) erstmals durch Datenabgleich vom 02. Mai 1997 (DEVO/DUEVO) Kenntnis erlangte und die Zahlungen mit dem 04. Juni 1997 einstellte. Aus der von der Arbeitgeberin auf Anforderung des AA erstellten Arbeitsbescheinigung vom 25. Juli 1997 ging hervor, daß das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber am 21. März 1997 gekündigt worden war, weil der Kläger unentschuldigt nicht mehr zur Arbeit erschienen sei.

Nach vorheriger Anhörung des Klägers erließ das AA den Bescheid vom 07. August 1997, mit dem es die Bewilligung von Alhi ab 10. März 1997 wegen nicht angezeigter Arbeitsaufnahme und wegen des Eintritts einer zwölfwöchigen Sperrzeit vom 22. März bis 13. Juni 1997 aufhob und vom Kläger die Erstattung der bis 04. Juni 1997 gezahlten Alhi und der vom 22. März bis 18. April 1997 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 3.880,92 DM verlangte.

Der damit begründete Widerspruch des anwaltlich vertretenen Klägers, das Arbeitsverhältnis sei nicht wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Arbeitsplatz, sondern wegen Arbeitsmangels gekündigt worden, blieb ohne Erfolg, nachdem die Arbeitgeberin auf Rückfrage des AA den Angaben des Klägers widersprochen hatte; gleichzeitig rechnete das AA gegen den Leistungsanspruch des Klägers vom 14. Juni bis 06. Juli 1997 (Arbeitsaufnahme ab 07. Juli 1997) in Höhe von 887,30 DM gegen die Erstattungsforderung auf (Widerspruchsbescheid vom 05. Februar 1998, den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 06. Februar 1998).

Deswegen hat der Kläger am 20. März 1998 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben und vorab beantragt, ihm gegen die Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dazu vorgelegt hat er eine eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau vom 16. März 1998, aus der hervorgeht, daß der neunjährige Sohn des Klägers diesem am 12. März 1998 einen Brief seiner Bevollmächtigten vom 12. Februar 1998 mit dem darin enthaltenen Widerspruchsbescheid ausgehändigt habe, den er -- der Sohn -- in der damals von ihm dem Briefkasten entnommenen ADAC-Mitgliederzeitschrift wiedergefunden und versehentlich nicht sofort ausgehändigt habe; ähnliche Vorfälle habe es noch nie gegeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Mai 1998 hat das Sozialgericht die Klage -- als unzulässig -- abgewiesen, weil diese verspätet erhoben worden sei und gegen die Versäumung der Frist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne. Es sei dem Kläger anzulasten, wenn er sich nicht täglich die für ihn bestimmte Post vorlegen lasse; weiter müsse er sicherstellen, daß auch von der Sache her als nicht unwesentlich erkennbare Briefsendungen nicht mit unwichtigen Sendungen vermischt würden. Dies gelte auch, wenn einem neunjährigen Kind die Leerung des Briefkastens erlaubt werde; gerade dann müsse der Kläger um so mehr um eine korrekte Information über seine Posteingänge besorgt sein, insbesondere dann, wenn er wie hier wisse, daß eine Entscheidung im schon geraume Zeit anhängigen...

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