Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Regelungen im SGB 6 über die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente. Vereinbarkeit mit der EGRL 78/2000
Leitsatz (amtlich)
Die Regelungen im SGB 6 über die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind verfassungsgemäß (vgl BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 ua = BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1); sie verstoßen auch nicht gegen die Richtlinie 2000/78/EG (juris: EGRL 78/2000) des Rates vom 27.11.2000.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 23.07.2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen die Anrechnung seiner Versichertenrente auf seine Witwerrente.
Der am 1938 geborene Kläger war mit seiner am 1944 geborenen Ehefrau seit dem 1964 verheiratet. Die Eheleute haben drei gemeinsame Kinder (H., geb am 1966; M., geb am 1971 und M., geb am 1979). Nach dem Tod seiner Ehefrau am 2006 beantragte der Kläger am 23.10.2006 bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente. Mit Bescheid vom 02.11.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Witwerrente iHv monatlich 181 € (brutto) ab dem 10.10.2006. Darüber hinaus stellte die Beklagte fest, dass ab dem 01.02.2007 die Witwerrente iHv 109,08 € (brutto) nicht mehr zu zahlen sei, da der Kläger selbst eine Versichertenrente iHv 1.187,01 € (netto) beziehe und daher auf die Witwerrente eine Einkommensanrechnung iHv 198,87 € erfolge. Dies führe dazu, dass ein Auszahlungsbetrag der Witwerrente nicht gegeben sei.
Mit Schreiben vom 15.06.2010 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 02.11.2006 und die Weiterbewilligung der Witwerrente ab dem 01.02.2007. Dabei trug der Kläger zur Begründung vor, dass seiner Ansicht nach die Berechnungsgrundlage der entsprechenden Anrechnungsbescheide falsch sei. Anrechenbar sei das Einkommen, das monatlich bei Witwenrenten das 26,4-fache des aktuellen Rentenwerts übersteige. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Anrechnungsvorschriften bei der Witwenrente verfassungswidrig seien. Der Kläger rügte eine Verletzung der Art 14, Art 3 Abs 1 sowie Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG). Nach Erläuterung der Sach- und Rechtslage mit Schreiben vom 04.11.2010 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.02.2011 der Antrag auf Neufeststellung der Witwerrente ab.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2012 als unbegründet zurück. Gemäß § 97 Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) iVm §§ 18a bis 18e Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) werde Einkommen und Erwerbsersatzeinkommen von Berechtigten, das mit einer Witwen- bzw Witwerrente zusammentreffe, hierauf angerechnet. Dies gelte nicht bei Witwen- oder Witwerrenten, solange deren Rentenfaktor mindestens 1,0 betrage (Sterbevierteljahr). Anrechenbar sei nach § 97 Abs 2 Satz 1 SGB VI nur das Einkommen, welches einen bestimmten Freibetrag übersteige. Dieser betrage bei Witwen- und Witwerrenten das 26,4-fache des aktuellen Rentenwerts (26,4 x 26,13 € = 689,83 €); von dem den Freibetrag übersteigenden Einkommen würden nach § 97 Abs 2 Satz 3 SGB VI 40 vH angerechnet. Da der Kläger eine Altersrente beziehe, sei bei der Einkommensanrechnung ab 10.10.2006 die Nettorente iHv 1.187,01 € zu berücksichtigen. Dieses Einkommen übersteige den Freibetrag von 689,83 € um 497,18 €. Hiervon seien 40 % anzurechnen (198,87 €). Damit sei die Rente nach dem Sterbevierteljahr ab 01.02.2007 nicht mehr zu zahlen, weil das anzurechnende Einkommen iHv 198,87 € höher als die monatliche Rente von 109,08 € sei. Soweit ein Verstoß gegen Art 3 und Art 14 GG geltend gemacht werde, habe die Verwaltung allein die Aufgabe, diese gesetzgeberischen bzw gerichtlichen Vorgaben entsprechend ihrem Zweck korrekt umzusetzen bzw auszuführen, nicht jedoch, diese dahingehend zu prüfen, ob sie gegebenenfalls gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen könnten. Nach Art 100 GG könnten allein Gerichte die Überprüfung einer gesetzlichen Vorschrift erwirken.
Hiergegen richtet sich die am 27.11.2012 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wird erneut vorgetragen, dass die Rente von der Beklagten falsch berechnet worden sei. Zudem seien die Anrechnungsvorschriften bei der Witwenrente im Hinblick auf Art 14, Art 3 Abs 1 sowie Art 2 Abs 1 GG verfassungswidrig. Der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung werde von Art 14 GG geschützt. Die entsprechende Rente beruhe auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Versicherten. Durch die Anrechnung werde in das bestehende Renteneigentum eingegriffen. Die Ehe zwischen dem Kläger und seiner verstorbenen Ehefrau habe einen Anspruch auf Beteiligung beider an der in der Ehe erworbenen Rentenanwartsch...