Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen während des Bezugs von Elterngeld. Verfassungsmäßigkeit. Der Senat hat die Revision zugelassen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beiträge einer in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig Versicherten dürfen grundsätzlich auch nach den Einnahmen des Ehegatten bemessen werden, sofern der Ehegatte nicht einer gesetzlichen Krankenkasse angehört.
2. Dies gilt jedoch nicht, solange die Versicherte Elterngeld bezieht. Die Regelung in § 2 Abs 4 S 2 BeitrVerfGrsSz (juris: SzBeitrVfGrs), die eine solche Ausnahme nicht vorsieht, verstößt insoweit gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG. Die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen aus eigenem Einkommen bzw zur Zahlung von Mindestbeiträgen besteht dagegen auch während der Elternzeit.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21.04.2021 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 21.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2019 wird aufgehoben, soweit darin für die Zeit vom 20.12.2018 bis zum 31.03.2019 über den allgemeinen Mindestbeitrag gemäß § 240 Abs 4 Satz 1 SGB V hinausgehende Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gefordert werden.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner die Hälfte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Festsetzung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit des Bezugs von Elterngeld vom 20.12.2018 bis zum 31.03.2019.
Die Klägerin ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann zusammen. Bis zum 31.12.2013 war die Klägerin als Arbeitnehmerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der sozialen Pflegeversicherung (sPV) pflichtversichert. Ab dem 01.01.2014 war sie wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwilliges Mitglied der Beklagten zu 1) und kraft Gesetzes bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert. Ihr Ehemann ist privat krankenversichert. Seit dem 01.04.2019 ist die Klägerin bei der Beklagten zu 1) wieder pflichtversichert. Vom 20.12.2018 bis zum 31.03.2019 war die Klägerin in Elternzeit und bezog in dieser Zeit kein Arbeitsentgelt. Eine Kündigung der freiwilligen Versicherung durch die Klägerin erfolgte nicht.
Mit E-Mail vom 30.08.2018 informierten die Klägerin und ihr Ehemann die Beklagte, dass die Klägerin schwanger sei. Sie wiesen außerdem darauf hin, dass sie über die allgemeine AOK-Hotline teilweise widersprüchliche Aussagen zu der Krankenversicherung während der Elternzeit erhalten hätten. So könnten sie insbesondere nicht verstehen, weshalb sich die Klägerin als freiwillig Versicherte während der geplanten Elternzeit kostenpflichtig versichern müsse und dadurch schlechter gestellt werde als Pflichtversicherte, obwohl sie keine besseren Leistungen erhalte. Auch das Kind sei nicht über die Mutter familienversichert. Wären sie über diese Nachteile einer freiwilligen Krankenversicherung zutreffend informiert worden, hätte es nach ihrer Einschätzung keinen Grund für den weiteren Verbleib bei der AOK gegeben, sondern nur den Wechsel in eine private Krankenversicherung als logische Konsequenz. Die Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 31.08.2018.
Der Sohn D (im Folgenden: Kind) der Klägerin kam am 24.10.2018 auf die Welt. Die L-Bank teilte der Beklagten unter Hinweis auf § 203 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zunächst mit, dass sie an die Klägerin im Zeitraum vom 20.12.2018 bis 23.10.2019 Elterngeld zahle (Schreiben vom 08.01.2019, Eingang bei der Beklagten am 10.01.2019). Die Beklagte forderte die Klägerin auf, nähere Auskünfte zu ihrem Einkommen zu erteilen, da während der Elternzeit für freiwillig versicherte Mitglieder nicht grundsätzlich Beitragsfreiheit bestehe. In der „Einkommenserklärung zur Beitragseinstufung“ vom 03.02.2019 gab die Klägerin an, ihr Ehemann verdiene monatlich 8.990.76 € (brutto). Sie fügte ihrer Erklärung eine ihrem Ehemann erteilte Verdienstabrechnung für den Monat Dezember 2018 sowie einen Auszug aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 bei.
Mit Bescheid vom 21.03.2019 setzte die Beklagte Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 20.12.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von 157,53 € (132,75 € Krankenversicherungsbeiträge; 24,78 € Pflegeversicherungsbeiträge) fest. Ab 01.01.2019 wurde der monatliche Beitrag der Klägerin für die gesetzliche Krankenversicherung auf 338,05 € und für die soziale Pflegeversicherung auf 74,87 € festgesetzt (insgesamt: 412,92). Für den Zeitraum vom 20.12.2018 bis 28.02.2019 ergab sich ein Betrag in Höhe von 983,37 €. Zusammen mit dem Beitrag für den Monat März 2019 forderte die Beklagte eine Nachzahlung...