Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwaltungsakt über Versicherungspflicht und Beitragshöhe. Vor-GmbH. Haftung der Gesellschafter. Durchgriffshaftung
Leitsatz (amtlich)
1. Eines personenbezogenen Verwaltungsaktes über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe bedarf es nicht, soweit die Krankenkasse Beiträge geltend macht, die vom Arbeitgeber in Beitragsnachweisen mitgeteilt worden sind.
2. Gesellschafter einer nicht eingetragenen GmbH haften den Gläubigern der Gesellschaft für die durch Aufnahme der Geschäftstätigkeit entstandenen Schulden unmittelbar und unbeschränkt. Dem BGH (Urteil vom 27.1.1997 - II ZR 123/94 = NJW 1997, 1507) ist nicht zu folgen.
3. Zumindest können die Gesellschafter bei Vermögenslosigkeit der Gesellschaft - auch nach durchgeführtem Gesamtvollstreckungsverfahren - im Wege des Durchgriffs in Anspruch genommen werden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Mitgründer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die nicht in das Handelsregister eingetragen worden ist, für deren Beitragsschulden haftet.
Am 11. April 1991 gründeten der Kläger sowie die Kaufleute F D und U H die O Warenhandelsgesellschaft mbH mit Sitz in F/Sachsen (Urkunde des Notars Dr. W W H, UR Nr. 537/1991). Alle Gesellschafter leisteten die von ihnen übernommene Einlage von je 17.000,-- DM. Zum Geschäftsführer wurde zunächst U H später auch F D bestellt. Das Unternehmen nahm alsbald seine Geschäftstätigkeit auf und führte im Raum F Einzelhandelsgeschäfte, insbesondere je eines für Lebensmittel, Blumen, Farben und Textilwaren in Freiberg. Zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister kam es nicht. Durch Zwischenverfügung vom 29. November 1991 (AR 2335/91) forderte das Kreisgericht Chemnitz-Stadt von der Gesellschaft einen Kostenvorschuß und beanstandete den im Gesellschaftsvertrag festgelegten Unternehmensgegenstand als nicht konkret genug. Die daraufhin von den Gesellschaftern beschlossene Sitzverlegung nach H führte auch dort schon deshalb nicht zur Eintragung, weil das Stammkapital nicht nachgewiesen wurde. Durch Beschluß vom 24. November 1992 (N 176/92) eröffnete das Kreisgericht Chemnitz-Stadt die Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Gesellschaft, die schon bald in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Das Verfahren ist inzwischen beendet. Der Verwalter hat darin keine Forderungen gegen die Gesellschafter erhoben. Zur Verteilung blieben nur etwa 25.000,-- DM, welche für nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) bevorrechtigte Forderungen eine Quote von etwa 44 vom Hundert ergaben. Auf ihre im Verfahren geltend gemachten derartigen Forderungen hat die Beklagte 2.331,14 DM erhalten.
Bei der O Warenhandelsgesellschaft waren in der Zeit von November 1991 bis Oktober 1992 insgesamt 19 Mitglieder der Beklagten beschäftigt, die in der Krankenversicherung sowie der Arbeiterrenten- bzw. Angestelltenversicherung versicherungspflichtig und zur Bundesanstalt für Arbeit beitragspflichtig waren. Die Gesellschaft gab u.a. Beitragsnachweise ab, worin sie sich als "mbH i.G", d.h. in Gründung, bezeichnete.
Durch Bescheid vom 2. Februar 1993 forderte die Beklagte vom Kläger wegen der rückständigen Beiträge der Gesellschaft 39.424,59 DM zuzüglich weiterer Säumniszuschläge. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, die Forderung sei nicht nachvollziehbar dargelegt, außerdem hafte er als Gesellschafter nicht. Nachdem die Beklagte dem Kläger die erhobene Forderung erläutert, insbesondere die geforderten Beiträge nach Monaten aufgeschlüsselt, und ihn auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Februar 1986 - 2 RU 21 und 22/85 hingewiesen hatte, wies ihr Widerspruchsausschuß II den Widerspruch durch Bescheid vom 11. November 1993 zurück. Der Widerspruchsbescheid enthält eine Liste der Mitglieder, deretwegen die Beiträge gefordert werden.
Zur Begründung seiner hierwegen beim Sozialgericht (SG) Reutlingen erhobenen Klage brachte der Kläger vor, die Beklagte habe nie eine Beitragsberechnung anhand von Arbeitnehmern, Löhnen, Meldungen u.ä. zur Verfügung gestellt. Er bestreite, daß die von ihr genannten Arbeitnehmer von November 1991 bis November 1992 bei der Gesellschaft beschäftigt gewesen seien. Die in den Akten enthaltenen Beitragsnachweise seien überwiegend nicht unterschrieben. Der Geschäftsführer D habe einige Arbeitnehmer über eine Firma A W GmbH in R beschäftigt und angemeldet. Die Beklagte solle sich an die Gesellschafter-Geschäftsführer halten.
Die Beklagte verminderte zunächst durch Schriftsatz vom 28. Januar 1994 (nicht: 1995) die bisher in Höhe von 39.424,59 DM geltend gemachte Forderung auf 37.718,03 DM, und zwar um die für September 1992 und einen Teil der für November 1992 geforderten Beiträge sowie um einen entsprechenden Teil der nach § 24 Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) in der bis zum 31. Dezember 1994 gültig gewesenen Fassung (a.F.; vgl. Art. 2 Nr. 8, Art. 23 Abs. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des...