Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 3102. haftungsbegründende Kausalität. Infektionskrankheit. Nachweis einer Infektion: besonders erhöhte Ansteckungsgefahr. Konkurrenzursache. Nachweis von Ausschlussgründen. Beweislast. Tätigkeit im fleischverarbeitenden Gewerbe. Rindertuberkulose. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rechtsgrundlage. Rücknahme eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheides. Nichtanerkennung eines Versicherungsfalles

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rechtsgrundlage für die Rücknahme einer bestandskräftigen Ablehnung der Anerkennung eines Versicherungsfalles (hier: Eintritt einer BK) ist § 44 Abs 1 SGB 10, auch wenn im Ablehnungsbescheid nicht unmittelbar über Leistungsansprüche entschieden wurde.

2. Bei der BK 3102 ist - wie bei der BK 3101 - der ursächliche Zusammenhang grundsätzlich gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte bei seiner Berufstätigkeit einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt war, wobei eine bestimmte Infektionsquelle nicht nachgewiesen sein muss. Liegt eine solche erhöhte Infektionsgefahr vor, kann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich der Versicherte die bei ihm aufgetretene Krankheit durch seine besondere berufliche Exposition zuzog. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn besondere Umstände es ausschließen, dass die Infektion während oder auf Grund der versicherten Tätigkeit eintrat (zB weil Inkubationszeiten einen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ausschließen) oder wenn die Erkrankung durch eine Infektion im unversicherten Lebensbereich verursacht worden ist. Anlass zur Prüfung des zweiten Ausschlusstatbestandes besteht insbesondere dann, wenn der Versicherte sich auch in anderen als den beruflichen Gefahrenbereichen bewegte. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen dieser Ausschlussgründe müssen aber nachgewiesen sein, wofür die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die objektive Beweislast tragen (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 7/08 R = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 3).

 

Normenkette

BKV Anl. 1 Nrn. 3102, 3101; SGB VII § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Sätze 1, 2 Halbs. 1; BSeuchG § 18; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 02.03.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 25.01.2010 zurückzunehmen und die Lungentuberkulose des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zur Rücknahme der die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; nachfolgend BK 3102 “Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten„) ablehnenden Entscheidung und zur Anerkennung einer solchen BK verpflichtet ist.

Der am 1928 geborene Kläger wuchs im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern auf, zu dem die Haltung von fünf bis sechs Milchkühen sowie ca. drei Jungtieren gehörte. Von 1946 bis einschließlich August 1957 war der Kläger, unterbrochen von Tätigkeiten außerhalb des fleischverarbeitenden Gewerbes im Zeitraum von 1949 bis 1951, als Metzger im Raum W.-T. unter anderem bei Schlachtungen von Rindern tätig und in dieser Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten versichert. Im Zeitraum von 1946 bis 1949 schlachtete er dabei in der Regel wöchentlich zwei Rinder im örtlichen Schlachthof. In der Zeit von 1951 bis 1957, als Filialleiter überwiegend im Verkauf und bei der Produktion von Wurst tätig, arbeitete er nur noch alle zwei Wochen im Schlachthof. In der Folgezeit arbeitete der Kläger dann nicht mehr als Metzger in der Produktion, sondern war als Filialleiter im Verkauf bzw. als Pächter einer Cafeteria tätig und schied zum 01.06.1991 aus dem Erwerbsleben aus. Der Kläger leidet seit 1985 an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis und befindet sich seither in ständiger lungenfachärztlicher Betreuung.

Im Mai 2009 erstattete Dr. J., Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie, Umweltmedizin und Allergologie bei der Beklagten eine Anzeige wegen des Verdachts auf eine BK (Rindertuberkulose). Bei dem Kläger komme Rindertuberkulose in Betracht. In dem beigefügten Arztbericht vom 20.05.2009 (Bl. 2 Rücks. f. VA) stellte er die Diagnose einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose mit dem Mycobacterium bovis. Im Juni 2009 meldete Dr. B.-H. , Ärztin des Gesundheitsamts des R.-N--Kreises, den dringenden Verdacht einer BK in Gestalt einer offenen, akuten Tuberkulose verursacht durch des Mycobacterium bovis caprae (Bl. 8 f. VA). Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch den Beruf (Metzger) liege nahe, da beim Kläger ein “besonderer„ Erreger der Tuberkulose festgestellt worden sei (Mycobacterium bovis caprae) der früher durch Rinder übertragen worden sei. De...

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