Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Anhörung als Aufhebungsgrund eines Verwaltungsaktes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die von der Bundesanstalt für Arbeit bis zum 31.12.1997 angewandte Berechnungsmethode zur Berechnung der vom jeweiligen Arbeitgeber im Rahmen eines Erstattungsverfahrens nach § 128 AFG zu erstattenden Beiträge zu den gesetzlichen Versicherungen ist rechtswidrig, wirkt sich aber nicht zu Lasten des jeweiligen Arbeitgebers aus.

2. Es stellt einen Anhörungsfehler dar, wenn die Bundesanstalt für Arbeit im Erstattungsverfahren nach § 128 AFG eine vom Arbeitnehmer mitgeteilte neue Erkrankung im Anhörungsschreiben der Arbeitgeberin als Klägerin gegenüber nicht erwähnt, sondern lediglich mitteilt, die Befragung des Arbeitnehmers sei ergebnislos geblieben.

 

Leitsatz (redaktionell)

Vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 SGB 10 Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen müssen ihm in einer Weise unterbreitet werden, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann.

Ist die Mitteilung entscheidungserheblicher Tatsachen unterblieben, so liegt ein Anhörungsfehler vor. Der so ergangene Bescheid beruht dann auf einer Beweiswürdigung, zu der sich der Betroffene im Anhörverfahren nicht hatte äußern können. Bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides ist eine Heilung des Mangels möglich.

Die unterbliebene Anhörung war nach § 41 Abs. 2 a. F. SGB 10 im Klageverfahren ausgeschlossen; nach der neuen Fassung dieser Vorschrift kann sie bis zum Abschluss des sozialgerichtlichen Berufungsverfahrens nachgeholt werden. Ist eine erforderliche Anhörung unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, so ist der ergangene Bescheid aufzuheben.

§ 128 AFG ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG verfassungsgemäß. Deshalb ist eine Aussetzung und Vorlage des Verfahrens an das BVerfG ausgeschlossen.

Die Befreiungstatbestände des § 128 AFG sind vom Gericht dann zu prüfen, wenn der Arbeitgeber geltend macht, dass ein Befreiungstatbestand vorliegt. Denn die Befreiung von der Erstattungspflicht tritt nur dann ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass die Voraussetzungen des jeweiligen Befreiungstatbestandes vorliegen. Die bloße Äußerung einer Rechtsmeinung hierzu erfüllt nicht die gesetzlichen Voraussetzungen der Darlegungs- und Beweispflicht.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. März 2001 abgeändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 11. März 1999, 22. Juli 1999 und 29. November 1999 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin drei Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Pflicht zur Erstattung des ihrem früheren Arbeitnehmer I. (AN) von der Beklagten gezahlten Arbeitslosengeldes sowie der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.

Der am 20.12.1939 geborene AN war vom 20.04.1954 bis 30.06.1997 (zuletzt) als Meister bei den Firmen ... bzw. ..., den Rechtsvorgängerinnen der Klägerin, beschäftigt. Nach Angaben der Firma ... in der von ihr vorgelegten Arbeitsbescheinigung wurde das Arbeitsverhältnis, dessen ordentliche Kündigung tarifvertraglich (Frist: 7 Monate zum Monatsschluss) nach den Angaben in der Arbeitsbescheinigung  nicht ausgeschlossen war, am 30.05.1997 zum 30.06.1997 durch einen Auflösungsvertrag beendet. AN erhielt aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung in Höhe von DM 65.102,--. Er erzielte in der Zeit vom 01.01. - 30.06.1997 ein Arbeitsentgelt in Höhe von DM 43.001,00.

AN meldete sich am 17.06.1997 beim Arbeitsamt (AA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Er hielt seine Vermittlungsfähigkeit für nicht eingeschränkt. Bezüglich des Grundes für sein Ausscheiden verwies AN auf den Auflösungsvertrag. Gesundheitliche Gründe nannte AN nicht.

Mit Bescheid vom 26.06.1997 stellte das AA den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.07.1997 bis 22.09.1997 (12 Wochen) mit einer Minderung der Anspruchsdauer um 72 Wochentage, das Ruhen des Anspruchs wegen der erhaltenen Abfindung nach § 117 AFG bis zum 20.09.1997 sowie das Ruhen des Anspruchs wegen der erhaltenen Abfindung nach § 117a AFG vom 23.09.1997 bis 11.10.1997 mit einer weiteren Minderung der Anspruchsdauer um 17 Tage fest.

Mit Bescheid vom 29.07.1997  bewilligte das AA Alg ab 13.10.1997 mit einer (Rest-) Anspruchsdauer von 607 Tagen in Höhe von DM 100,00 täglich (Bemessungsentgelt DM 1.650,--, Leistungsgruppe C/0; Leistungstabelle 1997). Der tägliche Leistungssatz betrug ab 01.01.1998  DM 86,09, ab 01.07.1998  DM 86,95, ab 01.01.1999 DM 87,59  und ab 01.07.1999  DM 88,93. Ab 21.09.1999  war der Anspruch erschöpft.

Nach Anhörung der Rechtsvorgängerin der Klägerin stellte das AA mit Grundlagenbescheid vom 17.11.1997 die Verpflichtung der Firma zur ...

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