Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen B. ständige Begleitung. regelmäßiger Hilfebedarf. konkrete Hindernisse bei Haltestellen und Bahnhöfen unbeachtlich. vorübergehender Gesetzescharakter der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bezüglich Merkzeichen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Feststellung der Berechtigung für eine ständige Begleitung (Merkzeichen B) kommt es auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls nicht an, nur der Hilfebedarf muss regelmäßig sein.

2. Die bauliche Beschaffenheit von Haltestellen, Bahnsteigen oder Bahnhöfen ist hierbei unbeachtlich.

 

Orientierungssatz

Mit der in § 159 Abs 7 SGB 9 getroffenen Regelung hat der Gesetzgeber mit noch hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gebracht, dass er sich den insoweit maßgeblichen Verordnungstext in der Anlage zu § 2 VersMedV, also die unter den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Teil D, Nrn 1 bis 4 getroffenen Bestimmungen, zu eigen macht und bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung nach § 70 Abs 2 SGB 9 insoweit die VG Gesetzescharakter haben.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens “B„ (Berechtigung für eine ständige Begleitung).

Der 1954 geborene Kläger bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund eines angenommenen Anerkenntnisses im Verfahren vor dem Sozialgericht Ulm (SG, Az. XXX) wurden der Grad der Behinderung (GdB) mit 80 und die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens “G„, jeweils ab 3. August 2011, festgestellt. Hierzu erging der Ausführungsbescheid vom 3. Januar 2013. Die Feststellung des GdB wurde auf die versorgungsärztliche Einschätzung der Funktionsbeeinträchtigungen “Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom„ und “Lungenfunktionseinschränkung„ jeweils mit einem Teil-GdB von 50 sowie “koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, abgelaufener Herzinfarkt„ mit einem Teil-GdB von 10 gestützt.

Am 23. September 2013 beantragte der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens “B„. Hierzu verwies er auf eine von ihm in der Ostseeklinik P. in Anspruch genommene Rehabilitationsmaßnahme im Dezember 2012, wonach sich kurzfristig durch verschiedene unterstützende Maßnahmen eine geringfügige Verbesserung gezeigt habe. Er sei bei den Anwendungen aber nicht alleine, sondern immer in einer Gruppe gewesen. Die Teilnehmenden seien im Bedarfsfall sofort mit unterstützenden Maßnahmen zur Stelle gewesen. Kein Schritt sei ohne eine Begleitperson unternommen worden, welche sofort hätte helfend eingreifen können. Diese Menschen seien ihm auch bei Hindernissen wie Steigungen und Treppen unterstützend zur Seite gestanden. Mit seinem Antrag gehe es ihm darum, die zeitliche und finanzielle Belastung bisheriger Begleitpersonen zu minimieren. Nach Rücksprache mit der Straßenverkehrsbehörde könne er bei Zuerkennung des Merkzeichens “B„ zudem in die Gruppe derjenigen aufgenommen werden, die eine Parkerleichterung erhalten könnten. Hinzu komme, dass er das von ihm unterhaltene Kraftfahrzeug nur in einer Entfernung von etwa 350 m zu seinem Wohnhaus parken könne.

Zur Begründung seines Antrags legte er ferner eine ärztliche Bescheinigung der ihn behandelndes Fachärzte für Innere Medizin sowie Lungen- und Bronchialheilkunde beziehungsweise Pneumologie Dres. K./L. vom 6. November 2012 vor, wonach er sich wegen einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung in Behandlung befinde. Er habe bereits bei geringer Belastungsstufe Atemnot angegeben. Lungenfunktionell habe eine schwergradige obstruktive Ventilationsstörung objektiviert werden können. Diese chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung habe er bereits drei Monate zuvor diagnostizieren können. Bei einer Bodyplethysmographie am 22. August 2012 sei ein forciertes exspiratorisches Volumen (FEV1) von 1,21 l/min festgestellt worden, habe also nur 32 % der forcierten Vitalkapazität betragen. Er gehe davon aus, dass wegen des unauffälligen echokardiographischen Befundes die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung die Hauptursache für die vom Kläger angegebene Atemnot sei.

Der in der Ostseeklinik P. tätige Facharzt für Orthopädie Dr. W. berichtete über den dortigen stationären Aufenthalt vom 5. bis 26. Dezember 2012, dass eine auf entzündeten und dauerhaft verengten Atemwegen beruhende chronisch-obstruktive Lungenerkrankung COPD im Stadium II (ICD-10 J44.82), ein Alkohol- und Nikotinabusus, eine Adipositas im Stadium I bis II, eine arterielle Hypertonie, eine koronare Herzerkrankung bei einem Zustand nach Implantation eines Stents bei Ein-Gefäßerkrankung sowie der Verdacht auf eine Hepatose bei hohem Gamma-Glutamyl-Transpeptidase (GGT)-Spiegel diagnostiziert worden seien. Die zurückgelegte Wegstrecke habe im Sech...

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