Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Wehrdienstbeschädigung. GdS-Feststellung. Rettungssanitäter. posttraumatische Belastungsstörung. Afghanistan-Einsatz. Trauma-Kriterien nach DSM-IV-TR. fehlende Validität der DSM-5. Vermeidungsverhalten. ursächlicher Zusammenhang. schädigungsfremde Ursache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Rettungssanitäter, der direkt nicht an Leib und Leben bedroht war, liegt das nach ICD-10 und DSM-IV notwendige Traumakriterium für eine PTBS nicht vor.

2. Zur Feststellung einer PTBS ermangelt es der DSM-5 an der erforderlichen Validität, um die exakte psychische Diagnose nachvollziehbar zu machen.

3. Am Vermeidungsverhalten fehlt es, wenn sich der Kläger ständig medial mit dem Krieg in Afghanistan auseinandersetzt und einen Verlängerungsantrag für den dortigen Einsatz gestellt hat.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. September 2014 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, ab dem 1. April 2010 einen höheren Grad der Schädigung als 30 festzustellen und die Klage insoweit abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Schädigung (GdS) streitig.

Der 1980 geborene Kläger stammt aus Ch. in der ehemaligen DDR. Sein Vater war Alkoholiker, der gelegentlich auf seine Mutter, nicht jedoch auf die Kinder losging, welches nicht nur zu Selbstverletzungen des Klägers, sondern auch zu lebensmüden Gedanken führte (Anamnese Dr. L.). Als Neunjähriger versuchte er sich zu erdrosseln, weil er sich die Schuld an den ehelichen Auseinandersetzungen gab (Anamnese Dr. B., Klinikum W., Bl. 12 B-Akte). Nach Abschluss der Polytechnischen Oberschule besuchte der Kläger bis zur 10. Klasse das Gymnasium, begann dann eine Lehre als Maurer, die er im 3. Lehrjahr auf Montage in M. abschloss (vgl. Anamnese Prof. Dr. Dr. B.).

Mit 20 Jahren verpflichtete er sich für vier Jahre bei der Bundeswehr und war zuletzt Sanitätsstabsunteroffizier. Von Juni bis Oktober 2002 war er in K., Afghanistan, als Rettungssanitäter eingesetzt, wo es erst Ende des Jahres 2002 zu ersten koordinierten Angriffen der Taliban auf Staatseinrichtungen und ausländische Truppen kam (vgl. Antonio Giustozzi, Koran, Kalashnikov und Laptop, The Neo-Taliban Insurgency in Afghanistan 2002 bis 2007, Seite 8 bis 11).

Noch am 28. August 2002 beantragte der Kläger in K. die Verlängerung seiner Dienstzeit auf acht Jahre mit einem eventuellen Dienstzeitende am 31. Dezember 2007 (Bl. 138 WDB-Akte Bd. II) und am 31. August 2002 “als erfahrener Patrouillen-Rettungssanitäter„ seine Übernahme in das 3. GECON ISAF-AFG (Bl. 139 WDB-Akte Bd. II). In dem Beurteilungsbeitrag über seinen Auslandseinsatz wurde zur ausgeübten Tätigkeit ausgeführt, dass der Kläger schwerpunktmäßig an der sanitätsdienstlichen Versorgung der Einsatzkräfte beteiligt gewesen sei und darüber hinaus Patrouillen begleitet habe. Er habe seine Funktion als Rettungssanitäter mit großem Verantwortungsbewusstsein und fachlicher Kompetenz wahrgenommen. Dabei habe er einsatzortspezifischen Belastungen (unregelmäßige Einsatzzeiten, teilweise extreme klimatische Bedingungen, Unterbringung im Zelt) unterlegen. Hierzu ergänzte der Kläger als Selbsteinschätzung, dass er die Belastungen besonders in den Sommermonaten verspürt, aber insgesamt subjektiv gut toleriert habe (Bl. 134 ff. WDB-Akte Bd. II). Seine Dienstzeit endete mit dem 31. Dezember 2003 (vgl. Wehrdienstbescheinigung vom 21. Oktober 2003, Bl. 150 WDB-Akte Bd. II).

Am 29. Juli 2002 verdrehte er sich beim Aufsteigen auf einen Lkw während einer Patrouille das linke Kniegelenk, worauf er einen stechenden Schmerz verspürte. Bei einer Beugebewegung am 10. Oktober 2002 traten dieselben Beschwerden nach vorangegangener Schmerzfreiheit erneut auf. Der Zustand verschlechterte sich am 25. Oktober 2002 beim Überwinden eines Mauervorsprunges im Rahmen eines Beobachtungspostens mit erneutem Verdrehtrauma des Knies (vgl. truppenärztliches Gutachten vom 2. Juli 2003, Bl. 65 WDB-Akte Bd. I). Der Auslandseinsatz des Klägers wurde deswegen im November 2002 beendet. Auf seinen Antrag vom 2. Dezember 2002 anerkannte die Beklagte nach Einholung einer gutachterlichen versorgungsmedizinischen Stellungnahme von Dr. U. (Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - unter 10 vom Hundert - v. H.) mit Bescheid vom 3. September 2003 als Gesundheitsstörungen “Innenmeniskusriss, arthroskopisch entfernt; Knorpelschaden II. Grades am linken Femur-Knorren„, die jedoch keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen begründeten.

Nach dem Afghanistan-Einsatz war der Kläger zunächst bei der Bundeswehr weiter tätig, lernte über das Internet eine Frau mit Sohn kennen, mit der er mehrere Jahre liiert war und fand dann eine Ausbildungsstelle im Strafvollzug in H. (2003 bis 2005), wo er neben verschiedenen Gefangenensuiziden auch eine versuchte Geiselnahme durch Gefängnisinsassen miterlebte. Anfang 2...

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