Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstreckung einer Befreiung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 auf eine befristete berufsfremde Beschäftigung als nebenberuflicher Hochschullehrer bei einem selbstständigen Rechtsanwalt

 

Orientierungssatz

1. Ein selbstständiger Rechtsanwalt, für den zu keinem Zeitpunkt eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 erteilt wurde bzw in Betracht kam, erfüllt für seine nebenberufliche Tätigkeit als Hochschullehrer nicht die Voraussetzungen für eine Erstreckung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6.

2. Auch eine analoge Anwendung des § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 scheidet aus.

3. Die Erstreckungsvorschrift des § 6 Abs 5 S 2 SGB stellt keinen eigenständigen Befreiungstatbestand dar und ist auf die Fälle beschränkt, in denen zum Zeitpunkt der Aufnahme der anderen Beschäftigung eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 SGB 6 fortwirkt, denn nach dem Wortsinn kann nur ein fortbestehender Befreiungsstatus auf eine andere Tätigkeit erstreckt werden (vgl BSG vom 31.10.2012 - B 12 R 8/10 R = SozR 4-2600 § 6 Nr 8).

4. Insoweit existiert bei der Erstreckung einer Befreiung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 eine ursprünglich versicherungspflichtige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit und eine "andere versicherungspflichtige" Tätigkeit (vgl BSG vom 27.1.2022 - B 12 R 22/21 B = juris RdNr 11).

5. Zwischen der Beschäftigung, auf die eine Befreiung erstreckt werden soll, und derjenigen Beschäftigung, für die diese Befreiung ursprünglich erteilt worden ist, muss jedenfalls ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen (vgl BSG vom 11.3.2021 - B 5 RE 2/20 R = SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 25).

6. Es liegt auch kein Gleichheitsverstoß vor, wenn die Anwendung des § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 nicht weiter ausgedehnt wird und ua Konstellationen, in denen eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 SGB 6 vollständig fehlt und sogar die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 SGB 6 niemals vorliegen konnten und können, weil zu keinem Zeitpunkt eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde, aus sachlich gerechtfertigten Gründen anders beurteilt werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 09.06.2023; Aktenzeichen B 12 R 20/22 B)

 

Tenor

Die Klage gegen den Bescheid vom 19. April 2021 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für die Befreiung des Klägers in seiner Tätigkeit als Hochschullehrer an der Hochschule B1 für den Bereich „Recht und Energiewirtschaft“ in der Zeit vom 1. September 2017 bis 31. August 2020 vorliegen.

Der Kläger, der seit August 1990 Mitglied beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte ist, übt den Beruf eines selbstständigen Rechtsanwalts aus. Aufgrund des Dienstvertrages vom 30. Juni 2017 nahm er für die Zeit vom 1. September 2017 bis 31. August 2020 die Tätigkeit eines teilzeitbeschäftigten Professors für den Bereich "Recht und Energiewirtschaft" an der Hochschule B1 auf. Nach dem Dienstvertrag betrug die wöchentliche Arbeitszeit 50 vom Hundert der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollbeschäftigten und die Vergütung erfolgte nach Besoldungsgruppe W 2. Diese Tätigkeit führte der Kläger neben seiner selbstständigen Anwaltstätigkeit aus. Bezüglich weiterer Einzelheiten des Dienstvertrags wird auf den Dienstvertrag verwiesen.

Am 13. Juli 2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die ab dem 1. September 2017 ausgeübte nebenberufliche Tätigkeit als Hochschullehrer.

Mit Bescheid vom 15. September 2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Befreiung könne nur für die Beschäftigung erfolgen, wegen der der Versicherte aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sei.

In seinem dagegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger insbesondere vor, die Entscheidung der Beklagten führe zu einer eklatanten Ungleichbehandlung zwischen selbstständig tätigen Rechtsanwälten und angestellten Rechtsanwälten. Während angestellte Rechtsanwälte, die für ihre Berufstätigkeit einen Befreiungsbescheid erhalten hätten, auch für eine befristete Nebentätigkeit von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit würden, solle dies für Rechtsanwälte, die von vornherein nicht der gesetzlichen Rentenversicherung unterlägen, nicht gelten. Da die Erstreckungsentscheidung nach § 6 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ein Verwaltungsakt sei, sei eine solche Erstreckung in verfassungskonformer Auslegung des § 6 SGB VI auch für nicht der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegende Rechtsanwälte möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht im Wege einer Erstreckung kom...

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