Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Anspruchsausschluss wegen Selbstgefährdung. Unbilligkeit der Entschädigung. Straftaten in einem gewaltbereiten Trinkermilieu. sozialgerichtliches Verfahren. keine erneute Zeugenvernehmung nach erfolgter Beweiswürdigung durch Strafgericht
Leitsatz (amtlich)
1. Strafgerichtlich gehörte Zeugen müssen nur dann erneut vernommen werden, wenn neue Gesichtspunkte aufgetaucht sind oder der Sachverhalt unter anderen rechtlichen Kriterien zu würdigen ist, nicht aber um zu anderen als den tragenden Feststellungen des Strafprozesses zu gelangen.
2. Eine Mitverursachung iS einer vorwerfbaren Selbstgefährdung nach § 2 OEG kann darin liegen, dass nach vorangegangenen Tätlichkeiten das spätere Opfer nicht spätestens dann den Tatort verlässt, als der Täter deutlich sichtbar ein Messer auf den Tisch legt und zum Einstellen des Streits aufruft.
3. Die Entschädigung kann auch unbillig sein, wenn das Opfer einem gewaltgeneigten Trinkermilieu angehört, in dem es unter Alkoholeinfluss wiederholt zu gewaltgeneigten erheblichen Körperverletzungen gekommen ist und sich das Tatgeschehen als dafür typisch erweist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 5. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Elternrente streitig.
Die am ... Januar 1947 geborene Klägerin, der mittlerweile eine Grundrente wegen eines Schockschadens nach einem GdS von 40 gewährt wird, ist die Mutter des am 2. April 1973 geborenen M. M. (im Folgenden M), der am 2. März 2012 durch T. W. (im Folgenden W) mit einem Messerstich getötet wurde.
Dieser Auseinandersetzung war bereits am 10. Januar 2012 im Verlauf einer Schlägerei eine gefährliche Körperverletzung des M durch W vorangegangen, indem W in seiner Wohnung M eine Bierflasche auf dessen Kopf schlug, wodurch M eine Platzwunde am Hinterkopf davontrug. Von der Verfolgung dieser Straftat wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Heilbronn vom 21. Mai 2012 (Az.: 5 Js 3909/12) im Hinblick auf die Straferwartung im Verfahren wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung nach § 154 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) abgesehen.
Am 2. März 2012 befand sich M erneut in der Wohnung des W und nahm mit dem ebenfalls geschädigten F. B. (im Folgenden B) erhebliche Mengen Alkohol zu sich. Zum weiteren Tatverlauf hat das Landgericht Heilbronn - Schwurgerichtskammer - in seinem Urteil vom 18. September 2012 (Az.: 3 Ks 15 Js 6076/12) festgestellt: “Zwischen dem Geschädigten B und dem Geschädigten M kam es wegen der Freundin des Geschädigten B zu einem Wortgefecht, welches an Lautstärke und Intensität immer weiter zunahm. Um die beiden Geschädigten zu beruhigen, spielte der W zunächst eine DVD mit dem Titel “Dragon Heart„…. Der W fühlte sich dabei durch die lautstarke und ununterbrochene verbale Auseinandersetzung, die zwischen den Geschädigten ausgetragen wurde, derart gereizt, dass er zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen 20.30 Uhr und 20.41 Uhr aufsprang, in die neben dem Schlafzimmer gelegene Küche eilte und dort aus einem hölzernen fünfteiligen Messerblock ein 27 cm langes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 24 cm und einer Klingenbreite von 2 cm herauszog. Um die beiden Geschädigten einzuschüchtern und um für Ruhe zu sorgen, legte er dieses Messer zunächst demonstrativ und für beide Geschädigte erkennbar auf den Tisch, der sich im Schlafzimmer unmittelbar vor dem Bett befand. Dieser Drohung des W zum Trotz gerieten die Geschädigten wenig später erneut in Streit und setzten ihre verbale Auseinandersetzung lautstark fort, in deren Verlauf es auch zu wechselseitigen Beleidigungen zwischen allen Beteiligten kam. Um für Ruhe zu sorgen, ergriff der W, der unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzung stand und in einem Anflug von Wut sehr erregt war, sodann das auf dem Tisch liegende Messer und versetzte dem M nach einer Rechtsdrehung in dessen Richtung unvermittelt und ohne rechtfertigenden Grund einen Messerstich. So stach er mit nicht unerheblicher Wucht zwischen der vierten und fünften Rippe in dessen Oberkörper. Dabei durchstieß das Messer die Kleidung des M und drang in die linksseitige Brustwand, in den Herzbeutel, die Herzspitze sowie das Zwerchfell ein. Der dadurch entstehende Stichkanal mit einer Länge von mindestens 17 cm endete im Bereich der Vorderseite der Magenwand. Der M erlitt durch diesen Messerstich tödliche Verletzungen…. Durch den Herzkammerdurchstich verstarb M binnen weniger Sekunden, wobei ein Verbluten nach innen infolge des Durchtrennens der linksseitigen Brustwand todesursächlich war. Sodann zog W das Messer aus dem Körper des M und schlug den links neben ihm sitzenden Geschädigten B aufgrund neuerlichen Tatentschlusses bewusst und gewollt mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser vom Bett zu Boden fiel. Dann versetzte er diesem ohne rechtfertigendem Grund...