Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nach Sterilisation

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in § 27a SGB 5 knüpft, wie sich aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt, nicht an einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand des ebenfalls gesetzlich versicherten Ehegatten, sondern an die Unfruchtbarkeit des Ehepaares an. Vorausgesetzt wird allein, das die vorgesehenen Maßnahmen zur Herbeiführung der gewünschten Schwangerschaft erforderlich und nach ärztlicher Einschätzung erfolgversprechend sind. Welche Umstände die Infertilität verursacht haben und ob ihr eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zugrunde liegt, ist unerheblich.

2. Soweit der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Nr 2 S 4 und 5 der Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung vorgesehen hat, dass nach einer Sterilisation grundsätzlich kein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung besteht und Ausnahmen der Genehmigung durch die Krankenkasse bedürften, steht dies mit der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 3.4.2001 - B 1 KR 40/00 R = BSGE 88, 62 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 nicht im Einklang.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.03.2005; Aktenzeichen B 1 KR 11/03 R)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte der Klägerin 4.515,32 € für eine in-vitro-Fertilisation (IVF) mittels intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) zu zahlen hat.

Die ... 1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflichtversichert. Sie ist seit ... 1998 mit dem ... 1950 geborenen H W (H.W.) verheiratet. Bei H.W., der bei der AOK H pflichtversichert ist, wurde, als er in erster Ehe verheiratet war, 1985 eine Sterilisation vorgenommen. Wegen dieser Sterilisation bei H.W. wurde im Hinblick auf einen Kinderwunsch des Ehepaares bei der Klägerin im September/Oktober 2001 in der Gemeinschaftspraxis der Ärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. H/Dr. M-K/T in H eine IVF mittels ICSI durchgeführt. Dafür entstanden für Medikamente und ärztliche Behandlungen Gesamtkosten in Höhe von 8.831,19 DM (= 4.515,32 €; vgl. Kostenaufstellung mit Belegen im Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin vom 22. Mai 2002), die die Klägerin bezahlt hat. Am 12. Juni 2002 gebar die Klägerin dann den Sohn J

Schon am 20. Januar 2001 hatte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Behandlungskosten für die beabsichtigte ICSI beantragt; dazu hatte sie eine ärztliche Bescheinigung der genannten Gemeinschaftspraxis über eine medizinisch indizierte ICSI-Behandlung vom 22. Januar 2000 sowie eine Kostenaufstellung vorgelegt. Zunächst lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit Schreiben vom 30. Januar 2001 ab, weil die ICSI nach dem Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (BA) derzeit keine Kassenleistung sei. Dagegen legte die Klägerin mit dem Hinweis darauf Widerspruch ein, es gebe derzeit noch keine abschließende Beurteilung der ICSI. Die Beklagte bestätigte die Ablehnung mit weiterem Schreiben vom 22. März 2001. Dann forderte sie die Klägerin mit Schreiben vom 12. September und 24. Oktober 2001 auf, anzugeben, aus welchem Grund bei ihrem Ehemann eine Sterilisation durchgeführt worden sei; eine Kostenübernahme für die ICSI sei nur möglich, wenn es sich um ein Mittel der Wahl handle, also die einzige erfolgversprechende Behandlungsmethode sei. Davon sei bei männlicher Subfertilität andrologischen Ursprungs oder idiopathischer Sterilität auszugehen. Dazu wies die Klägerin mit Schreiben vom 27. September und 26. November 2001 darauf hin, dass es nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 03. April 2001 (B 1 KR 40/00 R = SozR 3-2500 § 27a Nr. 3) unerheblich sei, welche Umstände die Infertilität verursacht hätten und ob insoweit eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zugrunde liege. Im Übrigen sei eine iatrogene Infertilität einer idiopathischen Sterilität gleichzusetzen. Mit Bescheid vom 06. Dezember 2001 bestätigte die Beklagte erneut die Ablehnung. Dagegen legte die Klägerin ebenfalls Widerspruch ein; sie verwies nochmals auf die neueste Rechtsprechung des BSG, die seit 01. Januar 1998 für ICSI maßgebend sei. In dem den Widerspruch der Klägerin zurückweisenden Widerspruch des bei der Beklagten eingesetzten Widerspruchsausschusses I vom 13. Februar 2002 wurde u.a. ausgeführt, dass auch bei Maßnahmen nach § 27a des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) eine Krankheit vorliegen müsse. Die Unfruchtbarkeit sei nur dann eine Krankheit, wenn sie schicksalshaft bestehe oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation eingetreten sei. Dagegen liege bei einem bewusst und gewollt herbei geführten Zustand der Unfruchtbarkeit keine Krankheit vor. Im Hinblick auf die beim Ehemann der Klägerin 1985 herbeigeführte Sterilität ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahme aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig gewesen sei.

Mit...

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