Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs bei ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der Beitragsschuld. Beitragsnachforderung auf Grund der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages. tatsächliche Zahlung eines niedrigeren Entgeltes
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 86b Abs 1 SGG kann die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Beitragsbescheid angeordnet werden, wenn nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel hinsichtlich der Beitragsschuld bestehen.
2. Solche ernstlichen Zweifel bestehen derzeit, wenn auf Grund einer Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages Beiträge nachgefordert werden, die nach dem Tariflohn bemessen werden, obwohl tatsächlich ein niedrigeres Entgelt gezahlt und hierauf Beiträge unbeanstandet entrichtet wurden.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 2002 war aufzuheben, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. November 2001, mit der die Antragsgegnerin die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 49.303,90 DM (25.808,68 Euro) verfügt hatte, war anzuordnen.
Maßgeblich ist die Vorschrift des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die mit Wirkung vom 2. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen ein Rechtsbehelf gegen einen belastenden Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung besitzt, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Sie war vorliegend jedoch anzuordnen, weil nach der hier allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit des Beitragsbescheides bestehen und ein sonstiges, das Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht bzw. sonst ersichtlich ist.
Kern des vorliegenden Rechtsstreites ist im Wesentlichen die Frage, ob das Arbeitsentgelt der Beschäftigten der Antragstellerin gemäß § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) an Hand des tatsächlich gezahlten Entgeltes zu bemessen ist oder aber, wie die Antragsgegnerin meint, an Hand des tatsächlich geschuldeten Arbeitsentgeltes, welches auf Grund der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages höher war.
Diese Frage ist nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu beantworten.
Sie ist höchstrichterlich nicht geklärt. So hat das Bundessozialgericht (BSG) in früheren Entscheidungen ausgeführt, dass dann, wenn überhaupt kein Entgelt entrichtet wird, die Beitragspflicht auch hinsichtlich der Fälligkeit und der Höhe am tatsächlich geschuldeten Arbeitsentgelt anknüpft (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1982, 12 RK 8/81, SozR 2200 § 393 Nr. 9; siehe auch BSG SozR 3-2200 § 385 Nr. 5 und BSG SozR 3-2500 § 226 Nr. 2). Andererseits hat das BSG jüngst entschieden, dass bei Zahlung eines tatsächlich nicht geschuldeten Arbeitsentgeltes die Beitragspflicht an der Höhe der tatsächlichen Zahlung und nicht an der Höhe des in Wirklichkeit geschuldeten Arbeitsentgeltes anknüpft (BSG, Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 13/01 R). Denn wenn der Arbeitnehmer Arbeitsentgelt tatsächlich erhalten bzw. erzielt hat, kommt es nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nicht darauf an, ob ein wirksamer (arbeitsrechtlicher) Anspruch auf das gezahlte Arbeitsentgelt bestand. Insoweit löst der Zufluss des Arbeitsentgeltes den Beitragsanspruch aus, es sei denn, es handelt sich um eine lediglich irrtümliche Zahlung, z. B. auf Grund eines Bankirrtums oder eines Arbeitgeberversehens. Nachträgliche Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien über die Höhe des Arbeitsentgeltes führen nicht zu einer nachträglichen Verringerung der Beitragsschuld (BSG a.a.O.).
Dies könnte darauf hindeuten, dass auch im vorliegenden Fall Anknüpfungspunkt das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt und nicht das rechtlich geschuldete Arbeitsentgelt ist. Jedenfalls besteht die ernstliche Möglichkeit einer solchen rechtlichen Beurteilung, wodurch sich zugleich auch ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Bescheides ergeben. Weil sonstige Gesichtspunkte für einen besonderen Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses ebenfalls nicht ersichtlich sind, war vorliegend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den angefochtenen Bescheid auszusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in der seit dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in der seit dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung i.V.m. § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 Gerich...