Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. einstweilige Anordnung. effektiver Rechtsschutz. Versagungsbescheid. Bestandskraft. Überprüfungsantrag. Verletzung von Mitwirkungspflichten. Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft. Folgenabwägung. Grundsicherung für Arbeitsuchende: Zulässigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes zur Leistungsgewährung bei bestandskräftigem Ablehnungsbescheid. Umfang der Mitwirkungspflicht bei vermuteter Bedarfsgemeinschaft. Umfang der Folgenabwägung im vorläufigen Rechtschutzverfahren
Orientierungssatz
1. Auch wenn ein bestandskräftiger Versagungsbescheid gegen einen Antrag auf Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB 2 besteht, kann einem Antrag auf Leistungsbewilligung im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann ein Rechtschutzbedürfnis zugrunde liegen, wenn der Betroffene einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB 10 gestellt hat, der hinreichende Erfolgsaussicht hat.
2. Geht ein Sozialleistungsträger davon aus, dass ein Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft lebt, hat er Auskünfte zur wirtschaftlichen Situation des mutmaßlichen Partners vorrangig bei diesem Partner und nicht beim Leistungsbezieher einzuholen, indem der Leistungsträger gegenüber dem Partner einen entsprechenden Verwaltungsakt erlässt.
3. In einem Sozialrechtsstreit über das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft im Rahmen von Leistungsansprüchen nach dem SGB 2, in dem sich der betroffene Leistungsempfänger gegen die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft wendet und in dem deshalb im Hauptsacheverfahren weitere Sachaufklärung erforderlich wird, gebietet die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes bezüglich der vorläufigen Zuerkennung von Leistungen zur Grundsicherung eine Folgenabwägung. Innerhalb dieser Folgenabwägung sind lediglich die Vor- und Nachteile abzuwägen, die im Anschluss an eine vorläufige Leistungsgewährung bei einer erfolgreichen bzw. erfolglosen Hauptsacheentscheidung entstünden. Dagegen findet eine Abwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, im Zusammenhang mit dieser Folgenabwägung nicht statt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 1. August 2011 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. Oktober 2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 406,75 € monatlich sowie für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis zum 31. Dezember 2011, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 453,75 € monatlich zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 1/2 der außergerichtlichen Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens für beide Instanzen zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für die Zeit ab 4. Oktober 2011 für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwältin IF bewilligt. Für die Zeit vor dem 4. Oktober 2011 wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1951 geborene Antragsteller erhält von dem Antragsgegner seit dem 1. Januar 2005 fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er ist seit dem 29. Juli 1999 Alleineigentümer des Grundstücks P, S, welches zuvor im hälftigen Miteigentum seiner bereits im Jahr 1979 von ihm geschiedenen Ehefrau C L stand Das Grundstück ist u. a. mit einem Wohnhaus bebaut, welches von dem Antragsteller bewohnt ist. Nach den Angaben des Antragstellers wird die obere Etage des Hauses, bei der es sich um ein ausgebautes Dachgeschoss handelt, von der 1940 geborenen Frau W W bewohnt. Der Antragsteller hatte das Alleineigentum an dem Gründstück aufgrund des Grundstückskaufvertrages vom 4. Mai 1998 erworben, mit dem er sich zur Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 60.000,- DM an seine geschiedene Ehefrau verpflichtet hatte. Den Kaufpreis zahlte der Antragsteller nach seinen Angaben seiner geschiedenen Ehefrau im Jahr 1998 aus. Zur Finanzierung des Kaufpreises gewährte die Bausparkasse S dem Antragsteller am 18. Mai 1998 ein Bauspardarlehen in Höhe von 60.000 DM. In dem von Frau W als Mitschuldnerin mit unterzeichneten Bauspardarlehensvertrag zwischen dem Antragsteller und der S vom 8. Juni 1998 erteilte diese der Bausparkasse zur Tilgung des dem Antragsteller gewährten Baudarlehens eine Einzugsermächtigung zu Lasten ihres Girokontos. Nach dem von dem Antragsteller eingereich...