Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanktionsbescheid. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsbedürfnis. Eilbedürftigkeit. Entscheidungszeitpunkt. Vergangenheit. Absenkung der Regelleistung. Wichtiger Grund
Leitsatz (redaktionell)
1. In einem einstweiligen Rechtschutzverfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsbedürfnisses nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.
2. Dies bedeutet, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung einer Eilbedürftigkeit in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
3. In besonderen Fällen kann ausnahmsweise auch die Annahme einer Eilbedürftigkeit für zurückliegende Zeiträume gegeben sein, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine – stattgebende – Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.
Normenkette
SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB II § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b, Abs. 5 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 17. November 2006 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 7. September 2006 wird insoweit angeordnet, als die Antragsgegnerin in diesen Bescheiden den Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch für den Monat September 2006 auf die Kosten für Unterkunft und Heizung begrenzt hat. Insoweit wird die Aufhebung der Vollziehung der zuvor genannten Bescheide angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller ein Drittel der Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Kosten des Antragsverfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren sowie des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die am 27. Dezember 2006 (Mittwoch) bei dem Sozialgericht Potsdam eingelegte Beschwerde des 1983 geborenen Antragstellers gegen den seinem Bevollmächtigten am 23. November 2006 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 17. November 2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, und wie tenoriert begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Das Sozialgericht hat den am 17. Oktober 2006 eingegangenen Antrag des Antragstellers, mit dem er bei sachdienlicher Auslegung zum einen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) seines mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2006 gegen den Sanktionsbescheid der Antragsgegnerin vom 7. September 2006 erhobenen Widerspruchs sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gegen den Bewilligungsbescheid der Antragsgegnerin vom 7. September 2006, in dem die Antragsgegnerin die gegen den Antragsteller verfügte Sanktion umgesetzt und den Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Wegfall des befristeten Zuschlags in Höhe von 80,00 € und unter Absenkung der Regelleistung in Höhe von 345,00 € von insgesamt 655,00 € auf den Bedarf für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 230,00 € gemindert hat, er also bei vernünftiger und sachdienlicher Auslegung seines Begehrens insoweit die Aufhebung der Vollziehung des letztgenannten Bescheides für den maßgeblichen Bewilligungszeitraum vom 1. September 2006 bis zum 30. November 2006 nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG begehrt, zu Unrecht vollständig abgelehnt.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen; sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine derartige Sachlage ist hier gegeben, denn nach § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), der eine Regelung im Sinne von § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG trifft, haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der wie im vorliegenden Fall über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.
Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadr...