Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Erbteil als verwertbares Vermögen. Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über vorläufige Leistungsgewährung. darlehensweise Leistungsgewährung gegen Verpfändung eines Erbanteils als zulässige Befriedigung des Hilfebedarfs

 

Orientierungssatz

Eine Folgenabwägung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende kann jedenfalls dann nicht zugunsten des Hilfebedürftigen entschieden werden, wenn dieser über Vermögen in Form eines Erbteils in ungeteilter Erbengemeinschaft verfügt, dessen Verwertbarkeit zwar im Eilverfahren nicht abschließend bewertet werden kann, ihm aber eine darlehensweise Leistungsgewährung gegen Verpfändung seines Erbteils durch den Grundsicherungsträger angeboten wurde.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Juni 2018 aufgehoben.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners, über die nach Vorlage der Beschwerdeerwiderung des Antragstellers vom 1. August 2018 zu befinden war, ist begründet. Es besteht ungeachtet dessen, dass derzeit mangels hinreichender Sachverhaltsaufklärung nicht abschließend zu beurteilen ist, ob der Antragsteller hilfebedürftig ist, jedenfalls derzeit kein unaufschiebbares Regelungsbedürfnis für die begehrte, auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit ab 1. Juni 2018 gerichtete und vom Sozialgericht (SG) für die Zeit bis 30. November 2018 erlassene einstweilige Anordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Hilfebedürftig iSv § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm § 9 Abs. 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann, und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 12 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen; dazu können bewegliche Sachen ebenso gehören wie Immobilien und Forderungen. Als Verwertungsmöglichkeiten kommen hier die Veräußerung oder die Verpfändung des Erbteils des Antragstellers, der Verkauf des Hausgrundstücks sowie die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft in Betracht. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II sind als Vermögen allerdings nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Nach § 9 Abs. 4 SGB II ist schließlich hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. Ist eine sofortige Verwertung eines Vermögensgegenstandes nicht möglich, sind die Leistungen als Darlehen zu erbringen (§ 24 Abs. 5 Satz 1 SGB II); die Leistungen können davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird (§ 24 Abs. 5 Satz 2 SGB II).

Zu den Vermögensgegenständen, die vorliegend in die Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach §§ 9, 12 SGB II einzubeziehen sind (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 14 AS 42/07 R = SozR 4-4200 § 12 Nr. 12), gehören der Anteil an dem Nachlass, über den der Kläger (allein) nach § 2033 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verfügen kann, der Miteigentumsanteil an den Grundstücken in ungeteilter Erbengemeinschaft und der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (§§ 2042 ff BGB). Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können. Ist der Inhaber dagegen in der Verfügung über den Gegenstand beschränkt und kann er die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen, ist von der Unverwertbarkeit des Vermögens auszugehen (vgl BSG aaO Rn. 20). Eine bloß theoretisch in Betracht kommende Verwertungsvariante des Nachlasses durch Verkauf oder Verpfändung genügt nicht, um von seiner Verwertbarkeit iS des § 12 Abs. 1 SGB II auszugehen.

Es bedarf daher - im gerichtlichen Eilverfahren indes untunlicher - tatsächlicher Feststellungen, dass eine - rechtlich mögliche - Verwertung des gesamten Erbteils durch Verkauf oder Verpfändung am Markt tatsächlich möglich war bzw ist (vgl BSG aaO Rn 26,27). Dazu bedarf es ungea...

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