Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung bei einem Unionsbürger, der sich lediglich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhält

 

Orientierungssatz

1. Ein Ausländer, der sich in Deutschland allein zur Arbeitsuche aufhält, ist nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen.

2. Der Leistungsausschluss verstößt nicht gegen Europäisches Recht. Insbesondere verstößt er nicht gegen das Europäische Fürsorgeabkommen, weil die Bundesrepublik Deutschland einen entsprechenden Vorbehalt erklärt hat.

3. Eine Europarechtswidrigkeit ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die EGV Nr. 883/2004. Nach dem Wortlaut der Verordnung ist der sachliche Geltungsbereich i. S. von Art. 2 EGV 883/2004 nicht eröffnet, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R.

4. Die EGV 883/2004 enthält bereits in ihren Gründen den Hinweis, dass die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über Soziale Sicherheit zu berücksichtigen sind. Entsprechend werden Leistungen der sozialen und medizinischen Fürsorge ausdrücklich in Art. 3 Abs. 5 EGV 883/2004 von deren sachlichem Geltungsbereich ausgenommen. Sie bezweckt nicht die Förderung einer allgemeinen Freizügigkeit innerhalb der EU zur Inanspruchnahme beitragsunabhängiger Sozialleistungen eines anderen Mitgliedsstaates.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Februar 2013 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1988 geborene Antragsteller ist französischer Staatsbürger. Nach eigenen Angaben ist er am 24. August 2012 in Deutschland zur Arbeitssuche nach einem EU Praktikum eingereist.

Am 4. Dezember 2012 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei der Antragstellung gab er an, er sei bisher von seinen Eltern finanziell unterstützt worden, zahle für sein Zimmer keine Miete und erhalte Hilfe von Freunden in Berlin in Form von Sachleistungen.

Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 den Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab, da der Antragsteller allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland habe und daher nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 9. Januar 2013 mit der Begründung Widerspruch, für ihn bestehe kein Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II. Diesen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2013 zurück.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben und außerdem beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Antragsdatum vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Er verfüge über keine finanziellen Mittel, um seinen Lebensunterhalt auf Basis des Existenzminimums zu sichern und der vom Antragsgegner angeführte Leistungsausschluss bestehe nicht.

Außerdem legte der Antragsteller eine als “eidesstattliche Versicherung„ überschriebene Erklärung vom 15. Januar 2013 vor. Von Februar bis Juni 2012 habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt und ein mit einer Monatsvergütung von 600 € bezahltes Praktikum absolviert. Derzeit absolviere er einen Intensivsprachkurs für die deutsche Sprache, um seine Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verbessern. Er gehe davon aus, dass er im Sommer 2013 nach Abschluss des Sprachkurses seine Arbeitslosigkeit beenden könne und ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Bereich des Hotelgewerbes aufnehmen werde.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts erklärte der Antragsteller in einer weiteren “eidesstattlichen Versicherung„ vom 4. Februar 2013, die im Verwaltungsverfahren erwähnten Zuwendungen durch Freunde bestünden aus gelegentlich kleineren Bargeldbeträgen, die sein jetziger Mitbewohner ihm darlehensweise gewährt habe, damit er davon seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Es sei vereinbart, dass das geliehene Geld zurückzuzahlen sei, sobald es seine finanziellen Möglichkeiten zuließen.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 8. Februar 2013 den Antragsgegner vorläufig für die Zeit vom 16. Januar 2013 bis zum 15. Juli 2013, längstens bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Regelbedarfs (monatlich 382 €) zu gewähren. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II finde auf den Antragsteller als Mitglied der Europäischen Union keine Anwendung. Der Antragsteller könne sich unter Berücksi...

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