Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Darlehensweise Schuldübernahme durch den Leistungsträger bei Schulden aus Strombezug. Berücksichtigung eines übermäßigen Verbrauchs bei einer Härtefallentscheidung
Orientierungssatz
1. Auch Schulden aus dem Bezug von Strom können ausnahmsweise bei einer vergleichbaren Notlage in einer entsprechenden Anwendung der für die Kosten der Unterkunft bestehenden Regelung in § 22 Abs. 8 SGB 2 darlehensweise durch den Sozialleistungsträger für einen Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung übernommen werden.
2. Eine solche Übernahme scheidet aber unter Beachtung von Billigkeitserwägungen jedenfalls dann aus, wenn die Schulden aus Strombezug aufgrund eines übermäßigen Stromverbrauchs aufgelaufen sind (hier: dreifach höherer Verbrauch als der Durchschnittshaushalt) und für einen vorangegangenen Bezugszeitraum solche Schulden bereits einmal durch den Leistungsträger übernommen wurden.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 8, 5 Fassung: 2003-12-24, § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. August 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch nicht für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt I S wird abgelehnt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht die darlehensweise Gewährung von Stromschulden in Höhe von 732,91 Euro nebst 73,06 Euro für eine Einschaltgebühr abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Aus dem in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Bezug genommenen § 920 der Zivilprozessordnung - ZPO - ergibt sich, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraussetzt, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile drohen (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., 2012, § 86b Rdnr. 28).
Maßgebend sind - auch im Beschwerdeverfahren - in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 4. September 2009 - L 14 AS 1063/09 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 - L 28 B 1637/07 AS ER, zitiert nach juris; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Denn in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ist ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Im Ergebnis kann offen bleiben, ob dem Antragsteller ein Anordnungsgrund zur Seite steht. Jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.
Die Vorschrift ist nicht unmittelbar anwendbar, da hier Stromschulden im Streit stehen, die nicht die Heizung betreffen, sondern die allein die Haushaltsenergie betreffenden sonstigen Stromkosten. Diese werden nicht von den Kosten für Unterkunft und Heizung umfasst, sondern sind nach § 20 Abs. 1 SGB II Bestandteil der Regelleistung. Der erkennende Senat hielt in der Vergangenheit den (in Sätzen 1 und 2 gleich lautenden) § 22 Abs. 5 SGB II (Beschluss des erkennenden Senats vom 6. August 2009 - L 14 AS 1048/09 ER m.w.N. - juris) in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung für anwendbar und hält in vergleichbaren Notlagen eine entsprechende Anwendung auch des § 22 Abs. 8 SGB II für weiterhin geboten (vgl. Beschluss des Senates vom 23. September 2011 - L 14 AS 1533/11 B ER - juris).
Vorliegend erscheint die Übernahme der Stromschulden indessen nicht gerechtfertigt. Dem steht bereits entgegen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller bereits auf seinen Antrag vom 27. September 2011 Energieschulden i.H.v. 136,55 Euro für den Verbrauchszeitraum vom 22. Dezember 2010 bis 9. März 2011 (Verbrauch von 819 kWh) darlehensweise gewährt hatte; Bescheid vom 29. September 2011. Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, in den auch Billi...