Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Übernahme von Stromschulden. keine Rechtfertigung bei fehlender Angabe von Gründen für einen unangemessenen Verbrauch
Leitsatz (amtlich)
Gründe für einen "unangemessenen" Stromverbrauch sind in einem einstweiligen Anordnungsverfahren glaubhaft zu machen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2011 aufgehoben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt IS, W, B, zu diesem Verfahren beigeordnet; Raten sind nicht aus dem Einkommen oder Vermögen des Antragstellers zu zahlen.
Der an das hiesige Gericht gerichtete Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren vom 16. September 2011 wird wegen instanzieller Unzuständigkeit als unzulässig verworfen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Das Sozialgericht hat ihn zu Unrecht verpflichtet, dem Antragsteller ein Darlehen über 1.618,43 € zur Tilgung der bei der Fa. V GmbH bis zum 1. Juli 2011 entstandenen Zahlungsrückstände zuzüglich der Kosten der Einschaltung i.H.v. 73,06 € zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch liegt nicht vor. Zweifelhaft ist auch, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Aus dem in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Bezug genommenen § 920 der Zivilprozessordnung - ZPO - ergibt sich, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraussetzt, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile drohen (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., 2008, § 86b Rdnr. 28).
Maßgebend sind - auch im Beschwerdeverfahren - in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 4. September 2009 - L 14 AS 1063/09 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 - L 28 B 1637/07 AS ER, zitiert nach juris; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Denn in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ist ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Wenn dem Antragsteller bereits am 11. März 2011 der Strom abgestellt worden ist, erscheint nicht nachvollziehbar, warum erst am 1. August 2011 ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt worden ist. Dies begründet die Zweifel an der Dringlichkeit des geltend gemachten Begehrens.
Jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 22 Abs. 8 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Danach können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertig und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen gewährt werden.
Die Vorschrift ist nicht unmittelbar anwendbar, da hier Stromschulden im Streit stehen, die nicht die Heizung betreffen, sondern die allein die Haushaltsenergie betreffenden sonstigen Stromkosten. Diese werden nicht von den Kosten für Unterkunft und Heizung umfasst, sondern sind nach § 20 Abs. 1 SGB II Bestandteil der Regelleistung. Der erkennende Senat hielt in der Vergangenheit den (in Sätzen 1 und 2 gleich lautenden) § 22 Abs. 5 SGB II (Beschluss des erkennenden Senats vom 6. August 2009 - L 14 AS 1048/09 ER m.w.N.) in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung für anwendbar und hält in vergleichbaren Notlagen eine entsprechende Anwendung auch des § 22 Abs. 8 SGB II für weiterhin geboten.
Vorliegend erscheint die Übernahme der Stromschulden indessen nicht als gerechtfertigt.
Dem steht bereits entgegen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller bereits einen Antrag vom 10. März 2011 auf Gewährung eines Darlehens wegen Energieschulden i.H.v. 1252,88 € aus dem Verbrauchszeitraum vom 1. Februar 2010 bis 5. Dezember 2010 (Stand: 5. Januar 2011) nebst Mahnkosten von 6,20 € bestandskräftig (§ 77 des Sozialgeri...