Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. beigeordneter Rechtsanwalt. Kanzleisitz außerhalb des Gerichtsbezirks. Entfernung zum Prozessgericht nicht weiter als der am weitesten entfernte Ort innerhalb des Gerichtsbezirks. Aufhebung der Beiordnung "zu den Bedingungen einer im Gerichtsbezirk ansässigen Kanzlei"
Leitsatz (amtlich)
Erfüllen außerhalb des Gerichtsbezirks ansässige Verfahrensbevollmächtigte die Bedingungen des Mehrkostenverbots nach § 121 Abs 3 ZPO, weil ihr Kanzleisitz vom Ort des Gerichtssitzes nicht weiter entfernt ist als der am weitesten entfernte Ort innerhalb des Gerichtsbezirks, werden sie durch die Anordnung einer Beiordnung "zu den Bedingungen einer im Gerichtsbezirk ansässigen Kanzlei" materiell nicht beschwert. Die Anordnung ist jedoch zur Vermeidung des Rechtsscheins aufzuheben, dass mit ihr gebührenrechtliche Einschränkungen verbunden sind.
Tenor
Der Antrag des Klägers, „gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG festzustellen, dass die Reisekosten des zu bearbeitenden Rechtsanwalts zu Terminen vor dem Sozialgericht Neuruppin zur sachgerechten Interessenwahrnehmung für den Kläger erforderlich sind“ wird als unzulässig abgelehnt.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 18. April 2019 geändert. Die Anordnung, dass die Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten „zu den Bedingungen einer im Gerichtsbezirk ansässigen Kanzlei“ erfolge, wird aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgericht sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der vor dem Landessozialgericht erstmals gestellte und damit erstinstanzlich angefallene Antrag des Klägers, eine Feststellung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zu treffen, war als unzulässig abzulehnen. Zu der beantragten Feststellung ist nur das „Gericht des Rechtszugs“ befugt. Bezeichnet wird damit das Gericht der Instanz, für die Kosten im Rahmen der Prozesskostenhilfe geltend gemacht werden (s. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, § 33 Rn 6), hier also ganz offensichtlich das Sozialgericht Neuruppin.
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 18. April 2019 hat im Ergebnis Erfolg.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V. mit § 121 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Weitere Kosten entstehen unter anderem dann nicht, wenn der Anwalt, dessen Beiordnung begehrt wird, seine Kanzlei an einem Ort hat, der nicht weiter vom Gericht entfernt ist als der am weitesten vom Gericht entfernte, noch innerhalb des Gerichtsbezirks gelegene Ort (s. statt vieler Seiler in Thomas/Putzo, ZPO 39. Aufl. 2018, § 121 Rn 7 m.w.Nachw.). So verhält es sich hier. Jedenfalls der im Landkreis Prignitz und damit im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts gelegene Ort L (E) ist mit ca. 110 km weiter vom Sitz dieses Gerichts entfernt als - mit 107 km - der Ort S, an dem die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten ihren Sitz hat (Berechnung mittels üblicher Internet-Wegeplaner).
Daraus folgt zwar, dass dem Kläger (bzw. seinen Bevollmächtigten) materiell keine erkennbaren gebührenrechtlichen Nachteile aus der vom Sozialgericht getroffenen Anordnung entstehen. Da jedoch die Auffassung vertreten wird, die Beiordnung eines nicht im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts sei in dem Fall, dass hierdurch keine Mehrkosten entstünden, „uneingeschränkt“ auszusprechen (s. etwa die Kommentar-Fundstelle in dem vom Kläger zitierten Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. März 2019 - L 1 KR 77/19 B PKH -), wird die angefochtene Anordnung zur Beseitigung eines durch sie erweckten Rechtsscheins aufgehoben, die Beiordnung unterliege gebührenrechtlichen Einschränkungen, die sich durch den derzeitigen Ort des Kanzleisitzes der Bevollmächtigten des Klägers begründen.
Die Ausführungen des Klägers zu den aus seiner Sicht im Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO Mehrkosten ersparenden Sprachkenntnissen des Rechtsanwalts M. waren vor diesem Hintergrund nicht entscheidungserheblich. Nur vorsorglich wird deshalb darauf hingewiesen, dass der Kläger fehl ginge, sofern er der Auffassung wäre, dass der von ihm bevollmächtigte Rechtsanwalt als Dolmetscher vor Gericht in dem vorliegenden Rechtsstreit in Betracht käme. Dolmetscher sind von einer Tätigkeit in Verfahren, in denen sie als Prozessbevollmächtigte eines Beteiligten bestellt sind, kraft Gesetzes ausgeschlossen (s. § 202 Satz 1 SGG i. V. mit §§ 191 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz, 406 Abs. 1 Satz 1, 41 Nr. 4 ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO. Für Entscheidungen auf der Grundlage des § 46 RVG ist eine Kostenerstattung nicht vorgesehen (arg. e § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 13219705 |
FA 2019, 316 |
NZS 2020, 607 |
AGS 2020, 42 |