Entscheidungsstichwort (Thema)

ALG II. Umzug. Erforderlichkeit. Wohnungsgröße. Zusicherung. Verwaltungsvorschrift. Anzahl der Räume. Angemessenheit

 

Leitsatz (redaktionell)

Sind die Wohnverhältnisse eines Antragstellers unangemessen beengt, ist ein Umzug erforderlich i.S.v. § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II. Ob die Wohnverhältnisse angemessen sind, richtet sich nach den landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus.

 

Orientierungssatz

1. Die Wohnflächenangaben der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 7. Juni 2005 (AV-Wohnen) umfassen nur die Wohnfläche der Wohnräume nicht auch Küchen- und Nebenräume.

2. Eine die Erforderlichkeit eines Umzuges gem. § 22 Abs. 2 S. 2 SGB 2 begründende unangemessene Beengung der Wohnverhältnisse liegt bei einem mit 3-Personen-Haushalt (hier: mit zwei Kindern) jedenfalls dann vor, wenn die Wohnung lediglich über zwei Wohnräume verfügt, von denen einer ein Durchgangszimmer ist.

 

Normenkette

SGB II § 22 Abs. 2 S. 2; SGG § 86b Abs. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. März 2008 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Übernahme der Kosten für die Anmietung der Wohnung M Straße, B, 1. Obergeschoss rechts zuzusichern.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gegeben.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs, Zweites Buch - SGB II -. Nach dieser Vorschrift ist der kommunale Träger zur Erteilung einer Zusicherung über die Übernahme der Aufwendungen für eine neue Unterkunft verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

Der von den Antragstellern beabsichtigte Umzug ist erforderlich. Erforderlich im Sinne des § 22 Abs. 2 SGB II ist ein Umzug, wenn für ihn ein wichtiger Grund vorliegt (Lang/Linck in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rdnr. 80). Das ist vorliegend der Fall, weil die gegenwärtigen Wohnverhältnisse der Antragsteller unangemessen beengt sind.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann die Berechtigung des Auszugsverlangens der Antragsteller nicht durch einen Hinweis auf die Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 7. Juni 2005 (AV-Wohnen) verneint werden. Der AV-Wohnen kann schon nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass nach ihren Maßstäben unzumutbar beengte Wohnverhältnisse dann nicht vorliegen, wenn 3 Personen eine Wohnung mit zwei Wohnräumen zur Verfügung steht und die Gesamtfläche der Wohnung mindestens 50 m² beträgt. Nach Ansicht des Senats ist durchaus fragwürdig, ob sich die Wohnflächenangaben unter 9.4 Abs. 5 Buchstabe f der AV-Wohnen auf die Gesamtfläche der Wohnung oder nur auf die Wohnfläche der Wohnräume beziehen. Nach der Struktur der Regelung in Nr. 9.4 Abs. 5 Buchstabe f Satz 2 sollen die in der 2. Satzhälfte (nach dem Doppelpunkt) zu findenden Angaben über Wohnräume und Wohnflächen in Abhängigkeit von der Anzahl der Wohnungsnutzer näher bestimmen, welcher Wohnraum mindestens zur Verfügung stehen muss, damit die Wohnverhältnisse nicht als unzumutbar beengt anzusehen sind. Der 1. Teil des Satzes rechnet den Wohnraum aber ausdrücklich ohne Küche und Nebenräume, was eher dafür spricht, auch die im 2. Teil des Satzes zu findenden Einzelangaben sämtlich nur auf Wohnräume in diesem Sinne zu beziehen. Dann können die Flächenangaben aber nicht auch Küchen oder Nebenräume umfassen (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Juli 2007 - L 14 B 571/07 AS ER -).

Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben. Die AV-Wohnen geben lediglich Hinweise darauf, was in der Praxis für angemessen gehalten wird, sie vermögen als Verwaltungs-vorschriften den Senat nicht zu binden (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Juli 2007 - L 14 B 571/07 AS ER -). Das Leitbild einer angemessenen Versorgung mit Wohnraum ist den landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus zu entnehmen (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil v. 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R -). Maßgeblich im Land Berlin sind demnach die Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 - WFB 1990 - vom 16. Juli 1990 (Amtsblatt für Be...

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