Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rechtsstreit über Festbetragsfestsetzung. keine notwendige Beiladung des Gemeinsamen Bundesausschusses oder der Bundesrepublik Deutschland. Zweifel an Rechtmäßigkeit der Festbetragsgruppe für "Glucocorticoide inhalativ oral". andere geeignete Vergleichsgröße. Wirkstoffpartikelgröße. Verletzung des Arzneimittelvertreibers in eigenen Rechten. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Streit um eine Festbetragsfestsetzung nach § 35 SGB 5 sind weder der Gemeinsame Bundesausschuss noch die Bundesrepublik Deutschland notwendig beizuladen.

2. Es bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 19.7.2005 über die Ergänzung der Anlage 2 zur Arzneimittel-Richtlinie um die Festbetragsgruppe der Stufe 2 "Glucocorticoide inhalativ, oral" (Bundesanzeiger Nr 192 vom 11.10.2005 S 14983) mit § 35 Abs 1 SGB 5.

3. Eine "andere geeignete Vergleichsgröße" nach § 35 Abs 1 S 5, Abs 3 S 1 SGB 5 setzt eine Ermittlung des kleinsten gleichen gemeinsamen Nenners gleicher therapeutischer Wirkung voraus. Es sind alle hierfür maßgeblich relevanten Faktoren zu berücksichtigen.

4. Es spricht einiges dafür, dass für eine Festbetragsfestsetzung unter Einschluss des Wirkstoffes Beclometason eine Differenzierung auch nach der Wirkstoffpartikelgröße erfolgen muss.

5. Durch eine nicht im Einklang mit § 35 Abs 1 SGB 5 stehende Festbetragsgruppenbildung wird ein Arzneimittelvertreiber jedenfalls dann in eigenen Rechten verletzt, wenn die Regelung den gesetzlichen Zielvorstellungen widerspricht und ein daran orientiertes Auftreten die Marktposition des Unternehmers kausal einschränkt.

6. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Festbetragsfestsetzung setzt eine offensichtliche Verletzung von subjektiven Rechten der Antragstellerin voraus, die hier nicht vorliegen.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.000.000,00 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege vorläufigen Rechtschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 25. November 2005 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) Aktenzeichen S 82 KR 2682/05 gegen die gemeinsame und einheitliche Festbetragsfestsetzung der beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen vom 28. Oktober 2005 für Glucocorticoide (inhalativ, oral) gemäß § 35 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zum 1. Januar 2006.

Glucocorticoide in Form von (Kortison-)Sprays dienen der Behandlung obstruktiver Atemwegserkrankungen wie insbesondere Asthma bronchiale und chronisch obstruktive Bronchitis (COPD). Zu ihnen gehören die Wirkstoffe Beclometason, Fluticason, Mometason und Budesonid.

Die Antragstellerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen und vertreibt unter anderem die Beclometason-haltigen Arzneimittel Junik und Bronchocort. Beclometason-haltige Sprays werden in unterschiedlichen Wirkstoffgehalten (also unterschiedlicher Menge des Wirkstoffes im Verhältnis zur Gesamtgasmenge) und zusätzlich in unterschiedlicher Form der Größe der einzelnen Wirkstoffpartikel angeboten (“Galenik„). In herkömmlicher Form haben die Teilchen einen medianen aerodynamischen Massendurchmesser (MMAD) von 4,8 µm. Bei der “extrafeinen„ Form sind die Teilchen nur 1,1 µm im Durchmesser groß. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob diese Verkleinerung der Inhalationsteilchen therapeutische Bedeutung hat.

Die genannten Produkte der Antragstellerin enthalten Beclometason in der feineren Form. Sie hat für sie eine neue Arzneimittelzulassung erhalten.

Für den Wirkstoff Beclometason gab es vor der hier streitigen Festbetragsfestsetzung eine Festsetzung auf Grundlage einer Eingruppierung gem. § 35 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB V (so genannte Festbetragsgruppe 1 für Arzneimittel mit demselben Wirkstoff) (= Festsetzung vom 13.02.2004: Wirkstärke w 0,2, Packungsgröße pk 200 Hub oder Stück, Festbetrag 49,39 €).

Am 7. Dezember 2004 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V für die Wirkstoffgruppen der Glucocorticoide -inhalativ, oral und nasal- ein Anhörungsverfahren zur Aktualisierung bestehender Festbetragsgruppen nach § 35 Abs. 1, Abs. 1 a SGB V einzuleiten. Beabsichtigt war die Festsetzung einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V (pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, so genannte Festbetragsgruppe 2), gebildet aus Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Beclometason, Budesonid, Fluticason und Mometason in verschiedenen Darreichungsformen.

Die Klägerin (unter ihrer damaligen Firma F GmbH) erhob in ihrer Stellungnahme vom 28. Januar 2005 Einwände gegen die Gruppenbildung. Die neu zugelassenen Beclometason-haltigen Fertigarzneimittel Junik und Bronchocort steigerten gegenüber der herkömmlichen Teilchengröße die pulmonale Deposition von 10 bis 20 % der mit dem Sprühstoß freigesetzten Wirkstoffmenge (als...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge