Entscheidungsstichwort (Thema)
Bürgergeld. Unterkunft und Heizung. darlehensweise Übernahme von Mietschulden. Unangemessenheit der Unterkunftskosten. Deckung der Differenz zwischen angemessener Miete und tatsächlicher Miete aus eigenen Mitteln. Prognose. Vermeidung eines Schulwechsels durch Umzug. Vermeidung von Folgekosten für Obdachlosigkeit. keine Rechtfertigung des Erhalts der Wohnung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch sind, kommt die Übernahme von Mietschulden als Darlehen dann in Betracht, wenn die Antragsteller die Differenz zwischen angemessener Miete und tatsächlicher Miete mit den Freibeträgen aus Erwerbstätigkeit decken können und eine Prognose ergibt, dass die Freibeträge in Zukunft auch tatsächlich zu diesem Zweck verwendet werden.
2. Allein ein durch den Umzug erforderlich werdender Schulwechsel der Kinder der Antragsteller vermag die Übernahme von Mietschulden nicht zu rechtfertigen.
3. Folgekosten für Obdachlosigkeit lassen die Übernahme von Mietschulden nicht als gerechtfertigt erscheinen, da die Rechtmäßigkeit eines Bescheides von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm abhängt und nicht davon, ob der Bescheid sich für die Staatskasse als wirtschaftlich sinnvoll erweist.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2023 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die darlehensweise Übernahme ihrer Mietschulden nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II).
Die 1973 und 1981 geborenen Antragsteller zu 1und 2 bewohnen mit ihren 2013 und 2016 geborenen Kindern eine knapp 90 m² große Wohnung unter der im Rubrum angegebenen Anschrift (Mietvertrag vom 1. Oktober 2018). Wegen Mietrückständen von damals 5422,99 Euro kündigte der Vermieter mit Schreiben vom 9. August 2022 fristlos und verlangte die Räumung. Er erwirkte ein rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 2. März 2023, mit dem die Antragsteller zur Räumung verpflichtet wurden. Mittlerweile betragen die Mietschulden 8316,33 €. Die aktuelle Mietbelastung beträgt 800,36 € zuzüglich Nebenkosten von 224,84 € und Heizkosten von 346,24 €, mithin 1371,44 €. Eine Mieterhöhung um 50 € soll nach Angaben des Antragsgegners zum 1. September 2023 erfolgen. Mit Schreiben vom 28. April 2023 hat der Vermieter sich bereit erklärt, das Mietverhältnis fortzusetzen, falls die Schulden bis zum 1. Juni 2023 beglichen würden. Mit weiterem Schreiben vom 31. Juli 2023 hat der Vermieter die Frist bis zum 30. September 2023 verlängert
Mit Bescheiden vom 9. Juni 2022 (Bewilligungszeitraum vom 1. Mai 2022 bis 31. Oktober 2022), 4. Juli 2022 (Bewilligungszeitraum vom 1. August 2022 bis 31. Oktober 2022), 9. August 2022 (Bewilligungszeitraum vom 1. September bis 31. Oktober 2022), 20. April 2023 (Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2023 bis 31. Juli 2023) und 19. Juni 2023 (Bewilligungszeitraum vom 1. August 2023 bis 31. Januar 2024) bewilligte der Antragsgegner vorläufig Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung von Einkommen ganz überwiegend erzielt durch die Antragstellerin zu 2 und unter Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft (KdU). Der Freibetrag für die Antragstellerin zu 2 aus dem erzielten Einkommen betrug zunächst 330 € bzw. 317,58 €, für den Bewilligungsabschnitt vom 1. August 2023 bis 31. Januar 2024 beträgt der Freibetrag 378 €.
Unter dem 16. September 2022 verfügte der Antragsgegner die vorläufige Einstellung der Leistungen ab dem 1. Oktober 2022. Der Antragsteller zu 1 habe eine Beschäftigung bei einem Discounter aufgenommen, sodass die Bedarfsgemeinschaft mit Einkommen der Antragsteller zu 1 und 2 den Lebensunterhalt mit eigenen Mitteln sichern könne. Eine Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis 31. Januar 2023 ist aus den Akten des Antragsgegners nicht ersichtlich.
Den ersten Antrag auf Mietschuldenübernahme lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Februar 2023 ab. Unter dem 23. Februar 2023 teilte das Bezirksamt, Soziale Wohnungshilfe mit, es teile die Entscheidung des Antragsgegners die Mietschuldenübernahme abzulehnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, Nachweise der zukünftigen Mietsicherung seien nicht eingereicht worden. Während des Antragzeitraums seien neue Mietschulden entstanden. Daher könne von einer zukünftigen Mietsicherung nicht ausgegangen werden, sodass der Antrag auf Mietschuldenübernahme abzulehnen sei. Auf den weiteren Antrag vom 21. April 2023 teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 28. April 2023 mit, dass keine Änderung der Verhältnisse ersichtlich sei, sodass über den wiederholten Antrag nicht erneut entschieden werde. Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit Schreiben vom 11. Mai 2023, mit dem sie Widerspruch erhoben und gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB/10. Buch (SGB X) stellten. Der Antragsgegner verwarf ...