Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft nur für eine Wohnung. Unwirksamkeit der Abtretung der Unterkunftsleistungen an den Vermieter. keine Pflicht zur weiteren Direktzahlung an den Vermieter. Anforderungen an Anspruchsübertragung. fehlendes wohlverstandenes Interesse des Hilfebedürftigen

 

Orientierungssatz

1. Die nach § 22 SGB 2 zu gewährenden Leistungen für Unterkunft und Heizung sind stets nur für eine einzige Unterkunft anzuerkennen, auch wenn der Hilfebedürftige mehrere Unterkünfte angemietet hat und rechtlich nutzen kann. Entscheidend ist dann die (vorrangig) tatsächlich genutzte Unterkunft. Bei etwaigen (hier durch Fortbestand des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist) fortlaufenden Mietverbindlichkeiten für die bisherige Wohnung handelt es sich nicht um tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2.

2. Der Grundsicherungsträger ist auch nicht verpflichtet bzw berechtigt die fortlaufenden Mietverbindlichkeiten der alten Wohnung weiterhin durch Direktauszahlung der Unterkunftsleistungen an den früheren Vermieter zu befriedigen, wenn die vom Hilfebedürftigen auf der Grundlage von §§ 398ff BGB unterzeichnete Abtretungserklärung unwirksam ist.

3. Eine solche Abtretungserklärung, die sich sozialrechtlich als Übertragung von Ansprüchen nach § 53 SGB 1 darstellt, ist unwirksam, wenn die Anspruchübertragung nicht gem § 53 Abs 2 Nr 2 SGB 1 im wohlverstandenen Interesse des Hilfebedürftigen erfolgt. Dies hat der Grundsicherungsträger zu prüfen bzw festzustellen.

4. Im Hinblick auf die Vorschrift des § 22 Abs 4 SGB 2, nach der eine direkte Auszahlung der Unterkunftsleistungen an den Vermieter nur in dem Fall erfolgen soll, in dem eine zweckentsprechende Verwendung durch den Hilfebedürftigen nicht sichergestellt ist, bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des Hilfebedürftigen sein kann. Gegen ein solches wohlverstandenes Interesse spricht auch, dass ein Abtretungsvertrag nicht jederzeit beendet werden kann und das üblicherweise beim Vermieter liegende Risiko eines Mietausfalls auf den Leistungsträger verlagert wird.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Februar 2006 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, an den Antragsteller für Februar und März 2006 jeweils 373,43 € auszuzahlen.

Dem Antragsteller wird für das Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Cottbus Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W K gewährt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Dem Antragsteller wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W K bewilligt.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte vorläufige Rechtsschutzverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Verurteilung der Antragsgegnerin, die ihm und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen für die Monate Januar bis März 2006 gewährten Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) im vollen Umfange auszuzahlen.

Der Antragsteller und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebende M S sowie deren 2003 geborener Sohn B S beziehen seit Januar 2005 Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II. Nach ihrem Zuzug in den Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin bewohnten sie ab dem 10. August 2005 eine über die W-Hausverwaltung von H W angemietete Wohnung in der W Straße in F. Der auf unbestimmte Zeit geschlossene Mietvertrag sah eine dreimonatige Kündigungsfrist vor; die Kündigung musste bis zum 3. Werktag des ersten Monats der Kündigungsfrist schriftlich erfolgen. Für die Wohnung gewährte die Antragsgegnerin monatlich insgesamt 337,34 € Leistungen für Unterkunft und Heizung. Unter dem 23. August 2005 unterzeichneten der Antragsteller und M S eine mit “Abtretungserklärung gemäß §§ 398 ff. BGB„ überschriebene Erklärung, nach der sie die ihnen monatlich zustehenden Leistungen für die Unterkunftskosten sowie die Vorauszahlungen für die Betriebs- und Heizkosten an die W-Hausverwaltung abtreten. Weiter hieß es in der Erklärung, dass die Abtretung solange unwiderruflich sei, wie beide Leistungsempfänger seien und der Mietvertrag für die Wohnung in der W Straße in F bestehe. Mit Änderungsbescheid vom 09. September 2005 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller über die Höhe der ihm und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in der Zeit vom 01. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 zustehenden Leistungen. Weiter teilte sie ihm in Kenntnis der Abtretungserklärung mit, dass sie die (Gesamt-) Kosten der Unterkunft in Höhe von 410,00 € ab dem 01. Oktober 2005 direkt an den Vermieter auszahlen werde, und tat dies auch.

Mit Schreiben vom 08. Dezember 2005...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge