Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers. Betriebsprüfung. Verhältnismäßigkeit
Orientierungssatz
1. Hat ein Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nach § 28f Abs. 1 SGB 4 nicht ordnungsgemäß erfüllt, so kann der prüfende Rentenversicherungsträger nach Abs. 2 S. 1 dieser Vorschrift den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen.
2. Kann er die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln, so hat er diese nach § 28f Abs. 2 S. 3 SGB 4 zu schätzen.
3. Die Verhältnismäßigkeit des Schätzbescheides kann im gerichtlichen Verfahren überprüft werden. Für die gerichtliche Beanstandung ist erforderlich, dass die Schätzung als unverhältnismäßig erscheinen muss. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass statt einer Schätzung der eigentlich richtige Betrag ohne unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden könnte.
Normenkette
SGB IV § 28f Abs. 1-2, § 28p Abs. 1 S. 5
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist ein Prüfbescheid der Beklagten, soweit er in Höhe von insgesamt 52.354,08 Euro Sozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumniszuschläge für die Beigeladenen zu 6 bis 17 betrifft.
Die Klägerin war seit 1999 Inhaberin des Imbisses bzw. der Gaststätte “Y„ in der Bstraße in B. Sie beschäftigte dort in den Jahren 2005 bis 2010 laufend Arbeitnehmer, unter anderem die Beigeladenen zu 6 bis 17.
Das Verfahren kam aufgrund einer Anzeige wegen Schwarzarbeit in Gang.
Das Hauptzollamt Berlin führte daraufhin Ermittlungen gegen die Klägerin und ihren Ehemann durch. Bei einer Durchsuchung am 6. Januar 2009 wurden insgesamt sieben Personen angetroffen, wovon vier angaben, Sozialleistungen zu erhalten. Der Ehemann der Klägerin übergab den Prüfkräften eine Kopie des Personaleinsatzplanes für die Monate Juli, August und September 2008. Danach wurden die Arbeitnehmer in verschiedene Schichten eingeteilt. Nach dem Plan gab es Arbeitnehmer, die 49 bzw. 96 Stunden monatlich tätig waren, andere über 200 Stunden.
Das Hauptzollamt ermittelte eine wöchentliche Öffnungszeit der Gaststätte von 86 Stunden bzw. 340 Stunden monatlich. Es legte dabei die reinen Öffnungszeiten zu Grunde, ohne Vor- und Nachbereitungszeiten z. B. für die Vorbereitung des Frühstücksangebotes, Reinigung, etc. zu berücksichtigen. Aufgrund der Beobachtung, wonach am Vormittag vier Arbeitnehmer bei der Beschäftigung zu sehen waren und nachmittags sieben, ging das Hauptzollamt von einer täglichen Gesamtarbeitszeit von 74 Arbeitsstunden aus, im Monat bei 30 Tagen 2220 Arbeitsstunden. Unberücksichtigt blieben dabei die späteren Schließzeiten laut Einsatzplan und ein etwaigen Mehrbedarf am Wochenende.
Das Hauptzollamt führte ferner am 3. März 2010 Durchsuchungen der Gaststätte, der Privatwohnung der Klägerin und beim Steuerberaterbüro durch. Im PKW des Ehemannes wurden Stundenaufzeichnungen gefunden, in der Gaststätte ein Laptop, auf dem sich diverse Tabellen befanden, welche die jeweiligen Arbeitsstunden der Arbeitnehmer zum Inhalt hatten. Diese umfassten mehrere Monate der Jahre 2005 bis 2010. Das Hauptzollamt ging insoweit von einer repräsentativen Aufstellung aus.
Nach vorangegangener Anhörung erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Juni 2013 über die Feststellung von Beitrags- und Umlagebetragsforderungen für die Zeit vom Januar 2005 bis Februar 2010 sowie über die Festsetzung von Säumniszuschlägen für den Zeitraum Februar 2005 bis November 2011 und forderte insgesamt 276.713,00 Euro nach, einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 85.417,50 Euro. Auf die Beigeladenen zu 6 bis 17 entfielen 52.354,08 Euro (Zustellung: 27.Juni 2013).
Den hiergegen erhobenen Widerspruch von Montag, den 29. Juli 2013, zu dessen Begründung die Klägerin einwandte, das Hauptzollamt habe bloße Schätzungen vorgenommen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2014 zurück (abgesandt: 28. April 2014).
Hiergegen hat die Klägerin am 27. Mai 2014 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben.
Das SG hat mit Beschluss vom 18. September 2014 das Verfahren abgetrennt, soweit der Prüfbescheid die Arbeitnehmer B C, H Y, C C, M A, A T Y, A K, O M sowie H A betrifft.
Aufgrund der Ermittlungen des Hauptzollamtes ist ein Strafverfahren durchgeführt worden. Das Amtsgericht Tiergarten stellte das Verfahren gegen die Klägerin gegen Zahlung von 1.800,00 Euro nach § 153a Strafprozessordnung ein. Ihr Ehemann wurde durch Urteil vom 15. Dezember 2014 (334 Ds 45/14) wegen Beitragsvorenthaltung in 64 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausge...