Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers gegen einen anderen Sozialleistungsträger
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 44a Abs. 3 S. 1 SGB 2 ordnet an, dass der zuständige Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung über einen Widerspruch i. S. von § 44a Abs. 1 SGB 2 zu erbringen hat. Die Nahtlosigkeitsregelung greift nur dann, wenn der Leistungsträger des SGB 2 sich nicht für zuständig erachtet oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit besteht (Anschluss BSG Urteil vom 31. 10. 2012, B 13 R 11/11 R).
2. Besteht kein Streit zwischen den Leistungsträgern, weil der Grundsicherungsträger seine Leistungspflicht nicht in Frage stellt, so ist der Anwendungsbereich des § 44a SGB 2 nicht eröffnet.
3. Der Erstattungsanspruch des § 103 Abs. 1 SGB 10 setzt voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese Leistungen entfallen ist. Die Vorschrift regelt nicht den Fall, dass ein Leistungsträger Leistungen objektiv zu Unrecht erbracht hat, weil der Empfänger aus medizinischen Gründen auf Dauer voll erwerbsgemindert i. S. von § 41 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 3 SGB 12 war.
4. Dem Grundsicherungsträger steht unter den Voraussetzungen des § 104 SGB 10 nach § 40a SGB 2 ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum eine andere Sozialleistung bewilligt wird. Er besteht auch dann, wenn die SGB 2-Leistung allein aufgrund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. November 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. August 2011 weitere Rentenleistungen auszuzahlen hat.
Der 1955 geborene Kläger bezog von der Beklagten eine vom 1. November 2006 bis 31. Oktober 2010 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung - EM - (Bescheid vom 8. Dezember 2010). Im Weitergewährungsverfahren bewilligte die Beklagte für die Zeit ab 1. November 2010 aus medizinischen Gründen Rente wegen voller EM auf Dauer (Bescheid vom 15. Juli 2011; Zahlbetrag ab 1. September 2011 = 689,35 €; Zahlbeträge für November und Dezember 2010 = monatlich 685,03 €, für Januar 2011 bis Juni 2011 = monatlich 682,75 € und für Juli bis August 2011 = monatlich 689,53 €). Die für den Zeitraum vom 1. November 2010 bis 31. August 2011 errechnete Rentennachzahlung iHv 5.750,88 € behielt sie vorläufig ein.
Der Kläger und seine mit ihm in einer Haushaltsgemeinschaft lebende Ehefrau erhielten im Streitzeitraum von dem Beigeladenen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Höhe eines monatlichen Gesamtbetrages von 883,85 € (November 2010), 822,32 € (Dezember 2010) bzw 967,54 € (Januar 2011 bis August 2011); auf die Bewilligungsbescheide vom 3. Juni 2010, 16. November 2010 und 5. Mai 2011 wird wegen der Ansprüche des Klägers und seiner Ehefrau im Einzelnen Bezug genommen.
Der Beigeladene machte mit Schreiben vom 19. Oktober 2011 bei der Beklagten Erstattungsansprüche wegen der in der Zeit vom 1. November 2010 bis 31. August 2011 erbrachten SGB II-Leistungen in einer Gesamthöhe von 5.723,08 € geltend; auf die Aufstellung des Erstattungsanspruchs im Einzelnen wird Bezug genommen. Die Beklagte kehrte den genannten Betrag aus der ermittelten Nachzahlung an den Beigeladenen aus und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 27. Oktober 2011 mit, dass der Restbetrag iHv 27,80 € an ihn gezahlt werde. Den hiergegen eingelegten Widerspruch verwarf die Beklagte als unzulässig (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2012).
Der auf Auszahlung weiterer 887,47 € gerichteten Leistungsklage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Berlin stattgegeben (Urteil vom 17. November 2014). Zur Begründung ist ausgeführt: Dem Beigeladenen stehe zwar dem Grunde nach ein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), weil er im streitigen Zeitraum dem Kläger trotz fehlender Erwerbsfähigkeit als unzuständiger Träger SGB II-Leistungen gewährt habe. Zu erstatten seien indes aus der Rentennachzahlung nur die dem Kläger im Streitzeitraum gewährten individuellen SGB II-Leistungen, nicht jene der Ehefrau. Dabei handele es sich um einen Betrag iHv insgesamt 4.842,61 €. Insoweit sei der Anspruch des Klägers auf Auszahlung der festgestellten Rentenbeträge erloschen. Die abzüglich der geleisteten Zahlung iHv 27,80 € verbleibende Differenz von 880,47 € habe die Beklagte noch an den Kläger zu zahlen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X umfasse nach § 34b SGB II (bis 31. März 2011 § 34a S...