Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. rückwirkende Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung an Leistungsbezieher. Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers nach § 40a SGB 2. Verfassungsmäßigkeit. keine unzulässige echte Rückwirkung der gesetzlichen Neuregelung
Orientierungssatz
1. Wird einem Leistungsbezieher nach dem SGB 2 rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt, so steht dem Grundsicherungsträger gem § 40a S 2 SGB 2 ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger zu. Kehrt der Rentenversicherungsträger die Rentennachzahlung an den Grundsicherungsträger aus, so gilt der Anspruch auf Auszahlung der Rentennachzahlung gem § 107 Abs 1 SGB 10 als erfüllt. In einem solchen Fall ist weder der Anwendungsbereich des § 44a Abs 2 SGB 2 noch die unmittelbare Anwendung des § 103 oder § 104 SGB 10 eröffnet.
2. § 40a SGB 2 ist nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat der rückwirkend zum 1.1.2009 in Kraft getretenen Erstattungsnorm des § 40a SGB 2 keine echte Rückwirkung beigemessen, weil letztlich davon auszugehen ist, dass damit - für den hier betroffene Zeitraum bis zu den Urteilen des BSG vom 31.10.2012 - nur eine unklare Rechtslage bereinigt wurde.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni 2009 bis 31. Juli 2010 Rentenleistungen iHv 1.918,68 € auszuzahlen hat.
Die Beklagte bewilligte dem 1962 geborenen Kläger, der seit 18. Mai 2009 auf Dauer nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, für die Zeit ab 1. Juni 2009 aus medizinischen Gründen Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM) auf Dauer (Bescheid vom 17. Juni 2010; laufender Zahlbetrag ab 1. August 2010 = 137,34 €). Die für den Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 31. Juli 2010 errechnete Rentennachzahlung iHv 1.918,68 € behielt sie vorläufig ein.
Der alleinstehende Kläger erhielt im Streitzeitraum von dem Beigeladenen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Höhe eines monatlichen Gesamtbetrages von 548,38 € (Juni 2009 bis September 2009), 556,38 € (Oktober 2009 bis Dezember 2009), 617,58 € (Januar 2010), 589,74 € (Februar 2010 bis März 2010) bzw 534,38 € (April 2010 bis Juli 2010); auf die SGB II-Bewilligungsbescheide vom 18. März 2009, 2. September 2009 und 18. Juni 2010 wird wegen der Ansprüche des Klägers im Einzelnen Bezug genommen. MWv 1. August 2010 hob der Beigeladene die Bewilligung von SGB II-Leistungen an den Kläger auf (Bescheid vom 25. Juni 2010).
Der Beigeladene machte mit Schreiben vom 25. Juni 2010 bei der Beklagten Erstattungsansprüche wegen der in der Zeit vom 1. Juni 2009 bis 31. Juli 2010 erbrachten SGB II-Leistungen in einer Gesamthöhe von 1.922,76 € geltend; auf die Aufstellung des Erstattungsanspruchs im Einzelnen wird Bezug genommen. Die Beklagte kehrte den Nachzahlungsbetrag aus der bewilligten EM-Rente iHv 1.918,68 € an den Beigeladenen aus und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Juli 2010 mit, dass ein an ihn auszuzahlender Restbetrag nicht verbleibe.
Nachdem der Kläger die Beklagte aufgefordert hatte (vgl Schreiben vom 31. Januar 2011), ihm einen der zu berücksichtigenden Versicherungspauschale iHv 30,- € monatlich entsprechenden Gesamtbetrag aus der Nachzahlung zu zahlen, hat er im sich anschließenden Klageverfahren die Zahlung von 411,- € geltend gemacht (Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 21. Juni 2010 - Bekanntgabe des Rentenbescheides - jeweils 30,- € monatlich bzw 21,- € anteilig für die Zeit vom 1. bis 21. Juni 2010). Diese Leistungsklage hat das Sozialgericht (SG) Berlin abgewiesen (Urteil vom 22. November 2012).
Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Zahlungsanspruch iHv 411,- €. Dem Beigeladenen stehe ein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten gemäß § 103 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) iHv 1.918,68 € zu, weil er im streitigen Zeitraum dem Kläger höhere SGB II-Leistungen als die zuerkannten Rentenbeträge iHv monatlich 137,34 € gewährt habe. Eine Versicherungspauschale sei nicht abzuziehen, weil im Streitzeitraum tatsächlich keine Rentenzahlungen zugeflossen seien.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und begehrt nunmehr weitere Rentenzahlungen der Beklagten iH des gesamten Nachzahlungsbetrages von 1.918,68 €. Er trägt vor: Sein Zahlungsanspruch sei nicht durch einen entsprechenden Erstattungsanspruch des Beigeladenen erloschen (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 11/11 R = SozR 4-1300 § 106 Nr 1 und - B 13 R 9/12 R = SozR 4-1300 § 104 Nr 5). Die mWv 1. Januar 2009 rückwirkend in Kraft gesetzte Erstattungsregelung in § 40a SGB II sei aufgrund echter Rückwirkung verfassung...