Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstes bei bewilligter Verletztenrente
Orientierungssatz
1. Bei der Bewilligung von Verletztenrente ist der maßgebliche Jahresarbeitsverdienst (JAV) zunächst nach der Regelberechnung des § 82 Abs. 1 SGB 7 festzusetzen. Erst danach ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der im Einzelfall berechnete JAV in erheblichem Maß unbillig ist (BSG, Urteil vom 18.3.2003, B 2 U 15/02 R).
2. Zur Annahme einer solchen Ausnahmesituation müssen außergewöhnliche Umstände vorliegen, welche eine erhebliche Unbilligkeit darstellen.
3. Nach § 87 SGB 7 ist bei der Festsetzung des JAV abzustellen auf die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit des Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls.
4. Ziel der Regelung des § 87 SGB 7 ist es, den JAV als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert wird, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet hat (BSG, Urteil vom 15.9.2011, B 2 U 24/10).
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des
Berufungsverfahrens voll zu erstatten. Im Übrigen verbleibt es bei der
Kostenentscheidung des Sozialgerichts.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Berechnung einer Verletztenrente, dabei die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV).
Der 1965 geborene Kläger absolvierte in der Zeit von 1990 - 1995 ein Studium der Naturwissenschaften/Biologie (Fischerei/Ressourcenmanagement) an der Universität Ch A D in Dakar, Senegal. Von 1995 bis 1997 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter dieser Universität. Ab 1998 bis ins Jahr 2002 forschte und promovierte er an der H Universität zu Berlin zum Dr. rer. nat. der Biologie. Vom 1. August 2002 bis 20. Februar 2004 war der Kläger Programmkoordinator von Umwelt- und Fischzuchtprojekten im Senegal der Fa. T S SARL, einem Unternehmen im Bereich Umwelt- und Ressourcenmanagement. Von 2004 bis 2006 publizierte er seine Promotionsarbeit. Nachfolgend forschte und publizierte er an der H-Universität zu Berlin bis 2008 im Status eines Gastwissenschaftlers, ohne hieraus ein Einkommen zu erzielen.
Seit dem 16. November 2008 war der Kläger als Entwicklungshelfer im Rahmen des GTZ-Programmes „PRODALKA“ im Tschad tätig. Er wurde hierbei nicht durch die Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) als Arbeitnehmer entsandt, sondern nach den Regelungen des Entwicklungshelfer-Gesetzes (EhfG). Träger war der Deutsche Entwicklungsdienste (DED), welcher am 1. Januar 2011 mit der GTZ zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fusionierte. Der Kläger war als Berater tätig und leitete das Projekt „Förderung der örtlichen Ressourcenschutzorganisationen" im Departement Léré. Im Jahr 2009 bezog der Kläger hierfür ausweislich der Verdienstnachweise Unterhaltsgeld in Höhe von 29.057,84 € Gesamtbrutto.
Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde der Kläger am 31. Januar 2010 bei einer Dienstreise Opfer eines Verkehrsunfalls, bei dem er als Folge einer Luxationsfraktur der Halswirbelsäule C5/C6 eine Querschnittlähmung mit Lähmung aller 4 Extremitäten, der Blase und des Mastdarms (komplette spastische Tetraplegie sub C4, neurogene Harnblasen- und Mastdarmlähmung) erlitt.
Im Zuge der Ermittlung zur Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zog die Beklagte u.a. den Entwicklungshelfer-Dienstvertrag des Klägers mit dem DED bei und befragte die Ehefrau des Klägers. Diese teilte mit, dass der Kläger vor dem Eintritt in den Entwicklungsdienst kein Entgelt erzielt habe. Die Selbständigkeit ihres Mannes habe bereits im Dezember 2007 geendet. Es habe sich um eine von Beginn an zeitlich begrenzte nebenberufliche Selbstständigkeit, deren Grundlage ein begrenzter Auftrag gewesen sei, gehandelt. Der Gastwissenschaftlervertrag, der im Jahr 2007 abgeschlossen worden sei, habe keinerlei Einkommen erzeugt. Es habe sich nur um eine Vereinbarung gehandelt, die dem Kläger erlaubt habe, an der H-Universität in seinem Fachgebiet forschen und dabei die Infrastruktur der Universität nutzen zu können. Sie und der Kläger hätten in dieser Zeit von ihrem Einkommen gelebt.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2011 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit unter Berücksichtigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. und eines Jahresarbeitsverdienstes von 42.311,13 €.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger, anwaltlich vertreten, mit Schreiben vom 28. August 2011 Widerspruch ein. Die Vollrente sei zu gering angesetzt. Es sei fehlerhaft ein Jahresarbeitsverdienst angenommen worden, der erheblich unter dem tatsächlich maßgeblichen Höchstjahresarbeitsverdienst liege. Die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles seien im Rahmen Ermessensausübung nicht in ausreichendem Maße gewürdigt worden. Zwar habe die Beklagte erkannt, dass der Kläger über ei...