Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht bzw -freiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung. Tourguide. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Tourguide in das unternehmerische Konzept des Auftraggebers in der Weise eingebunden, dass er die Teilnehmer der vom Auftraggeber beworbenen Touren in einer vorgegebenen Reihenfolge von einer Verkostungsstation zur nächsten führt und trägt der Tourguide kein nennenswertes Unternehmerrisiko, ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen, auch wenn der Tourguide die Möglichkeit hat, die Routen und Inhalte der Touren zwischen den Verkostungsstationen individuell zu gestalten.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Januar 2020 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid vom 5. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2018 wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 1 in ihrer Tätigkeit für die Klägerin als Tourguide in der Zeit vom 13. Oktober 2017 bis zum 8. Februar 2020 abhängig beschäftigt war und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag.
Die Klägerin bietet in verschiedenen Städten kulturell-kulinarische Stadtführungen an, deren Besonderheit es ist, dass die Teilnehmer bei Gastronomiebetrieben Station machen und dort verköstigt werden. Für Bereiche wie Marketing, Akquise kulinarischer Partner und Qualitätsmanagement sind bei der Klägerin angestellte Mitarbeiter zuständig. Für die Durchführung der Stadtführungen greift die Klägerin auf lokale Tourguides wie die Beigeladene zu 1 zurück. Im Jahr 2019 waren 560 Tourguides und 83 angestellte Mitarbeiter bei der Klägerin tätig.
Am 5. September 2017 schloss die Klägerin mit der Beigeladenen zu 1 einen „Vertrag über freie Mitarbeit“, der unter anderem folgende Regelungen enthielt:
§ 1 Tätigkeit
Der freie Mitarbeiter übernimmt ab 28. August 2017 die Aufgaben eines Tourguides in M mit den folgenden Tätigkeiten: Durchführung der kulturell-kulinarischen Stadtführungen.
§ 2 Weisungsfreiheit
Dem freien Mitarbeiter wird das Wahlrecht zuerkannt, ob er den Auftrag annimmt oder ablehnt. Gegenüber den anderen Angestellten der Firma hat der freie Mitarbeiter keine Weisungsbefugnis. Der freie Mitarbeiter ist in der Gestaltung seiner Arbeit frei unter Beachtung bestimmter Kriterien. Maßgeblich für seine Arbeit ist der jeweilige Auftrag.
(…)
§ 4 Arbeitszeit/Konkurrenz/Verschwiegenheit/Datengeheimnis
Im Übrigen unterliegt der freie Mitarbeiter in der Ausgestaltung seiner Arbeitszeit keinen Einschränkungen. Er darf auch für andere Auftraggeber tätig sein, mit der Ausnahme unmittelbarer Konkurrenzfirmen.
(…)
§ 5 Einarbeitung
Der freie Mitarbeiter nimmt an der folgenden Einarbeitung teil
1. Eine Mitgehtour (mit Essen)
2. Eine Mitgehtour (ohne Essen)
3. Ein Einzeltraining
4. Probetour
5. Regelmäßige Tourguide-Treffen (alle 3 Monate)
Die Einarbeitung und Tourguide-Treffen werden nicht vergütet.
§ 6 Vergütung
Das an den freien Mitarbeiter zu zahlende Honorar ergibt sich aufgrund eines Stundensatzes von 15,00 EUR (bei Umsatzsteuerpflicht zzgl. Umsatzsteuer). Nach einem Jahr selbständiger Tätigkeit für den Auftraggeber erhöht sich der Stundenlohn von 15,00 EUR auf 16,50 EUR. Die Vergütung ist innerhalb von 5 Arbeitstagen nach dem Ende des jeweiligen Monats unter Angabe der Arbeitszeit, dem Arbeitsthema und dem Umfang der Arbeit abzurechnen.
(…)
§ 7 Sonstige Ansprüche/Versteuerung
Mit der Zahlung der in § 6 vereinbarten Vergütung sind alle Ansprüche des freien Mitarbeiters gegen den Auftraggeber aus diesem Vertrag erfüllt.
(…)
§ 10 Haftung
Wer schuldhaft und ohne wichtigen Grund den Auftrag nicht durchführt oder nicht erscheint, ist zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe des doppelten Stundensatzes verpflichtet, bzw. trägt die Kosten des entstandenen Schadens.
(…)
§ 14 Sonstiges
Von der Möglichkeit des Abschlusses eines Anstellungsvertrages ist in Anwendung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit bewusst kein Gebrauch gemacht worden. Eine Umgehung arbeitsrechtlicher oder arbeitsgesetzlicher Schutzvorschriften ist nicht beabsichtigt. Dem freien Mitarbeiter soll vielmehr die volle Entscheidungsfreiheit bei der Verwertung seiner Arbeitskraft belassen werden. (…)
Hinsichtlich des übrigen Inhalts des Vertrags vom 5. September 2017 wird auf Bl. 7-9 der Verwaltungsakte verwiesen.
Am 10. Oktober 2017 stellte die Beigeladene zu 1 bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status hinsichtlich der Tätigkeit als Tourguide.
Ab dem 13. Oktober 2017 war die Beigeladene zu 1 für die Klägerin als Tourguide in M N und M S tätig. Nach dem 8. Februar 2020 fanden keine Einsätze mehr statt.
Die Einsätze...