Entscheidungsstichwort (Thema)

Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

Aus einem Teil-GdB von 30 für eine rheumaähnliche Erkrankung, einem solchen von 30 für ein Wirbelsäulenleiden, einem GdB von 40 für eine seelische Störung und einem solchen von 20 für eine Migräne ist ein Gesamt-GdB von 60 zu bilden.

 

Normenkette

SGB IX § 145 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1, 3-4, § 70 Abs. 2, § 159 Abs. 7; VersMedV Teil A Nr. 3 Buchst. c; VersMedV Teil B Nr. 18.2.2; VersMedV Teil B Nr. 18.9; BVG § 30; KraftStG § 3a Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2; UN-BRK Art. 5 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2015 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 28. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2011 verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 20. November 2015 einen Grad der Behinderung von 60 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zu 1/4 zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und die Zuerkennung des Merkzeichens “G„.

Bei der Klägerin war 2007 ein Grad der Behinderung von 50 festgesetzt worden. Den Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 9. November 2009 lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 28. April 2010 mit der Begründung ab, dass keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Auf den Widerspruch der Klägerin holte der Beklagte das Gutachten des Orthopäden Dr. W vom 1. Oktober 2010 ein, der den Grad der Behinderung (GdB) von 50 bestätigte und die Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ verneinte. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2011 wies der Beklagte, dem Gutachten folgend, den Widerspruch zurück. Dem legte er folgende Funktions-beeinträchtigungen zugrunde:

1.

psychische Störungen (Einzel-GdB von 30),

2.

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 20),

3.

Funktionsbehinderung des Kniegelenks, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB von 20),

4.

Migräne (Einzel-GdB von 20),

5.

WPW-Syndrom, intermittierende subjektiv wahrnehmbare Herzrhythmusstörungen (Einzel-GdB von 10),

6.

Schilddrüsenleiden (Einzel-GdB von 10),

7.

allergische Diathese (Einzel-GdB von 10).

Mit ihrer Klage beim Sozialgericht Berlin hat die Klägerin einen höheren GdB als 50 und das Merkzeichen “G„ begehrt. Das Sozialgericht hat das Gutachten des Orthopäden und Chirurgen Dr. T vom 6. Februar 2014 eingeholt, der den GdB weiterhin mit 50 eingeschätzt hat. Der Gutachter ermittelte hierbei folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen:

1.

psychische Komorbidität mit Schmerzempfindung/Schmerzchronifizierung (inklusive Migräne und Schwindel) (Einzel-GdB von 30),

2.

Wirbelsäulenkomplex (Einzel-GdB von 20),

3.

Armkomplex (rechtes Schultergelenk Fingergelenke) (Einzel-GdB von 10),

4.

Beinkomplex (Kniegelenke beidseits, Vorfüße beidseits) (Einzel-GdB von 10 bis 20),

5.

rheumaähnliche Erkrankung, Kollagenose, Morbus Raynaud, Lupus erythematodes (Einzel-GdB von 20),

6.

Herzerkrankung (mitunter Wolf-Parkinson-White-Syndrom) (Einzel-GdB von 10),

7.

multiple Allergien (Einzel-GdB von 10),

8.

Schilddrüsenerkrankung (Einzel-GdB von maximal 10),

9.

rezidivierende Gastritis (Einzel-GdB von 10).

In der ergänzenden Äußerung vom 13. Februar 2014 führte der Sachverständige Dr. T aus, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ nicht vorlägen. Bei seinen Auffassungen blieb er auch in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. April 2014. Dem Gutachten folgend hat das Sozialgericht Berlin die Klage mit Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen.

Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und Rheumatologie Prof. Dr. S vom 26. November 2015 mit ergänzender Stellungnahme vom 14. März 2016. Der Sachverständige hat nach Untersuchung der Klägerin am 14. Oktober 2015 folgende GdB-relevante Behinderungen ermittelt:

1.

Lupus erythematodes (Einzel-GdB von 30),

2.

psychische Störung (Einzel-GdB von 30),

3.

Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule in zwei Abschnitten (Einzel-GdB von 30),

4.

Fußfehlform und Minderbelastbarkeit nach zahlreichen operativen Behandlungen (Einzel-GdB von 10),

5.

Migräne (Einzel-GdB von 20),

6.

Wolf-Parkinson-White-Syndrom (Einzel-GdB von 10),

7.

Schilddrüsenleiden (Einzel-GdB von 10),

8.

Allergien (Einzel-GdB von 10).

Der Gutachter hat dargelegt, dass seit der Begutachtung durch Dr. T eine deutliche funktionelle Einschränkung am gesamten Stütz- und Bewegungsapparat eingetreten ist. Er hat vorgeschlagen, bei der Klägerin einen Gesamt-GdB von 60 festzustellen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen...

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