Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherung. Statusfeststellungsverfahren. Deutsche Rentenversicherung Bund. Sperrwirkung. nachfolgendes Verfahren der Einzugsstelle. Verwirkung des Klagerechts eines Rentenversicherungsträgers gegen Bescheid der Einzugsstelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Entscheidung über Versicherungspflicht durch die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a SGB IV hat Sperrwirkung gegenüber einem nachfolgenden Verfahren der Einzugsstelle nach § 28h Abs 2 SGB IV.

2. Auch bei einer wesentlichen Änderung iS von § 48 SGB X ist eine Einzugsstelle nicht befugt, einen im Verfahren nach § 7a SGB IV erlassenen Verwaltungsakt der Deutschen Rentenversicherung Bund ganz oder teilweise aufzuheben.

 

Orientierungssatz

Die Verwirkung des Klagerechts eines Rentenversicherungsträgers gegen einen Bescheid der Einzugsstelle nach § 28h Abs 2 SGB 4 liegt dann vor, wenn aufgrund einer entsprechenden Verwaltungspraxis dieser Bescheid dem Rentenversicherungsträger nicht unmittelbar nach seinem Erlass, sondern wesentlich später bekannt gegeben, die Klagefrist aber gewahrt wurde (vgl BSG vom 3.7.2013 - B 12 KR 8/11 R = BSGE 114, 69 = SozR 4-1500 § 66 Nr 4).

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2) aufgrund seiner Tätigkeit für seinen Vater, den Beigeladenen zu 1).

Der vorliegende Rechtsstreit ist Teil eines umfangreichen Verfahrenskomplexes, in dem die klagende Deutschen Rentenversicherung Bund Bescheide dreier Krankenkassen (u.a. der hiesigen Beklagten) mit der Begründung angefochten hat, diese hätten in mindestens insgesamt 301 Fällen (davon die hiesige Beklagte in mindestens 195 Fällen) unter Missachtung einschlägiger Vorschriften und Rechtsprechung Mitglieder von der Sozialversicherungspflicht befreit. Allen in diesem Zusammenhang geführten Rechtsstreiten zwischen der Klägerin und der Beklagten liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Ausgangspunkt in 160 Fällen ist die Ende 2008 gegründete, in Stuttgart ansässige a AG, die über eine Erlaubnis als Versicherungsvermittler nach § 34d Abs. 1 Gewerbeordnung verfügt - ausweislich des Rechtsdienstleistungsregisters (www.rechtsdienstleistungsregister.de) aber nicht über eine Befugnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) - und zu deren Unternehmensgegenstand ausweislich des Handelsregisters unter anderem die “Beratung von Privat- und Geschäftskunden im Bereich Versicherung, die Tätigkeit als Versicherungsmakler„ zählt. Diese AG bzw. ihre Vorstände T W, AR und W K hatten seit spätestens 2006 - damals noch für die ähnlich ausgerichtete und ebenfalls von ihnen geleitete f AG - ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem sie über vertraglich verbundene Versicherungsvermittler/-vertreter um kleine Familienunternehmen warben mit dem Ziel, für mit dem Firmeninhaber nahe verwandte Mitarbeiter zunächst eine “Befreiung„ von der Sozialversicherungspflicht zu erreichen und sie anschließend für den Abschluss privater Versicherungsverträge zu gewinnen. Bei der umfangreichen und gezielten Suche nach “geeigneten„ Krankenkassen stießen sie unter anderem auf die Beklagte und nahmen Kontakt mit verantwortlichen Krankenkassenmitarbeitern auf, im Falle der Beklagten mit dem Zeugen W, der bei der Beklagten seit ca. 2005 allein für versicherungsrechtliche Beurteilungen zuständig ist. Im Einzelnen gestaltete sich das von der a AG gesteuerte Verfahren wie folgt:

Nachdem die a AG bzw. ihre Mitarbeiter Kunden für ihr Geschäftsmodell gewonnen hatten, kündigten die bisher versicherungspflichtig beschäftigten Angehörigen die Mitgliedschaft bei ihrer bisherigen Krankenkasse. Sodann beantragte die a AG für diese Angehörigen - unter Vorlage je einer Vollmacht für sie und ihren Aufsichtsratsvorsitzenden, Rechtsanwalt F - die Aufnahme als Mitglied bei der Beklagten. Zugleich baten sie in einem gesonderten, stets an den Zeugen W gerichteten Schreiben um eine - zeitlich in keiner Weise eingeschränkte - versicherungsrechtliche Beurteilung. In allen diesen, stets von der a Mitarbeiterin H unterzeichneten Anschreiben heißt es, dass der Angehörige nicht sozialversicherungspflichtig sei, weil er “absolut nicht weisungsgebunden„ sei, die umfangreiche Tätigkeit “völlig frei„ bestimme, für seinen Aufgabenbereich seit vielen Jahren eigenständig verantwortlich sei; der Angehörige sei “absolut gleichwertiger Partner im Betrieb und [setze] sich ganz und gar für das Wohl des Unternehmens ein„.

Beigefügt war der von Angehörigen und Firmeninhaber unterzeichnete Vordruck “Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen im Rahmen eines Anfrageverfahrens gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV„. Mit Ausnahme weniger individueller...

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