Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Ermittlung des Grades der Behinderung. Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens “G„
Orientierungssatz
1. Soweit ein Betroffener trotz bestehender Gesundheitsbeeinträchtigungen, die einen Gesamt-GdB von mehr als 50 rechtfertigen, in der Lage ist, Wegstrecken im Ortsverkehr die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden, tatsächlich auch zurückzulegen, kommt die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ wegen eingeschränkter Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht in Betracht.
2. Einzelfall zur Bildung eines Gesamt-GdB bei mehreren voneinander unabhängigen Funktionsstörungen.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1, 3-4, § 70 Abs. 2, § 145 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 159 Abs. 7; VersMedV Anlage zu § 2 Teil B Nr. 3.7, Nr. 8.7, Nr. 9.3, Nr. 10.2.4; VersMedV Anlage zu § 2 Teil D Nr. 1 Buchst. d, e, f, Nr. 2 Buchst. b; BVG § 30; KraftStG § 3a Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 2; UN-BRK Art. 5 Abs. 2
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligen streiten noch über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) sowie über die Zuerkennung der Merkzeichen G und B.
1999 war bei dem 1947 geborenen Kläger ein GdB von 60 festgestellt worden. Am 12. Dezember 2011 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag, mit dem er auch die Merkzeichen G, B, aG, T und RF begehrte. Der Beklagte holte im Verwaltungsverfahren das Gutachten des Arztes Dr. S vom 2. Mai 2012 ein, der den Gesamt-GdB weiterhin auf 60 einschätzte und die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen verneinte. Hierzu ermittelte der Gutachter folgende Einzel-Behinderungen:
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1. |
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Persönlichkeitsstörung mit psychosomatischen Beschwerden (Einzel-GdB von 50), |
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2. |
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degenerative Wirbelsäulenveränderungen, langanhaltende Nervenwurzelreizerscheinungen im Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich, rheumatische Beschwerden (Einzel-GdB von 30), |
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3. |
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relative Blasen- und Mastdarminkontinenz, Fettstoffwechselstörung (Einzel-GdB von 20), |
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4. |
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Fettleber (Einzel-GdB von 10), |
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5. |
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Bluthochdruck (Einzel-GdB von 10). |
Dem Gutachten folgend lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2012 ab.
Hiergegen hat der Kläger sich mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage gewandt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten der Ärztin Dr. F vom 19. Juli 2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 19. Oktober 2013 eingeholt, die bei dem Kläger folgende Einzelbehinderungen festgestellt hat:
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1. |
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Persönlichkeitsstörung mit psychosomatischen Beschwerden (Einzel-GdB von 50), |
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2. |
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Wirbelsäulenfunktionsstörungen (Einzel-GdB von 20), |
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3. |
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relative Harnblasen- und Mastdarminkontinenz (Einzel-GdB von 20). |
Die gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen hat die Gutachterin verneint. Ferner hat das Sozialgericht die schriftliche Auskunft nach Aktenlage des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B vom 19. Oktober 2015 eingeholt. Mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren zunächst weiterverfolgt, im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter auf die Zuerkennung eines höheren GdB von mindestens 80 und der Merkzeichen G und B reduziert hat.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin, für psychosomatische Medizin und ärztliche Psychotherapie Dr. S vom 27. März 2017, der nach Untersuchung des Klägers folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt hat:
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1. |
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Persönlichkeitsstörung mit anankastischen und paranoiden Anteilen (Einzel-GdB von 50), |
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2. |
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rezidivierende Lumbalgien bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB von 20), |
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3. |
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Dranginkontinenz und neurogene Blasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 20), |
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4. |
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leichtgradige sensorische Stuhlinkontinenz, gebessert (Einzel-GdB von 10), |
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5. |
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Bluthochdruck mit Organbeteiligung (Fundus hypertonicus, Herzinsuffizienz) (Einzel-GdB von 20), |
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6. |
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Schlafapnoesyndrom mit Notwendigkeit nasaler Überdruckbehandlung (Einzel-GdB von 20). |
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2015 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 21. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2012 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 12. Dezember 2011 einen Grad der Behinderung von mindestens 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des ...