Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuerkennung des Merkzeichens "G" wegen einer spinalen Muskelatrophie

 

Orientierungssatz

1. Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" hat derjenige Schwerbehinderte, der infolge einer Einschränkung seines Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

2. Zu den Erkrankungen, die zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" führen können, zählt u. a. eine spinale Muskelatrophie. Diese muskuläre Erkrankung wirkt sich unmittelbar auf die Gehfähigkeit des Menschen aus und kann infolgedessen zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" führen.

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 4, § 145 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. Mai 2013 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 21. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2009 in der Fassung des angenommenen Teilanerkenntnisses vom 26. März 2015 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab September 2013 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des Gerichtsverfahrens zu 1/3 zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Bei dem 1962 geborenen Kläger war 2006 ein Gesamt-GdB von 40 festgestellt worden. Der Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 9. Juli 2008, mit dem er auch das Merkzeichen “G„ geltend machte, lehnte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit Bescheid vom 21. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2009 ab. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

-

spinale Muskelatrophie (Einzel-GdB von 40),

-

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 10),

-

Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB von 10).

Mit seiner Klage bei dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger zunächst die Zuerkennung eines höheren GdB als 40 und das Merkzeichen “G„ begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der behandelnden Ärzte das Gutachten des Orthopäden und Chirurgen Dr. T vom 11. Mai 2011 eingeholt, der den Gesamt-GdB auf 40 eingeschätzt und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ verneint hat.

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Neurologin PD Dr. F gehört worden. Im Gutachten vom 24. Januar 2013 hat sie einen Gesamt-GdB von 60 angenommen und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ bejaht.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger sein Begehren auf die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 und der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ beschränkt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Mai 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 habe. Insbesondere die spinale Muskelatrophie bedinge nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. T lediglich einen Einzel-GdB von 30, da deren Auswirkungen noch nicht als mittelgradig anzusehen seien. Der abweichenden Bewertung der Neurologin Dr. F werde nicht gefolgt, da dem Gutachten keine Untersuchungsbefunde zu entnehmen seien. Mangels Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ nicht vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Hierzu hat er den Arztbrief des Neurologen PD Dr. A vom 8. November 2013 und den Entlassungsbericht der Klinik H vom 29. Oktober 2013, in welcher der Kläger vom 19. September bis 10. Oktober 2013 stationär behandelt worden ist, vorgelegt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 29. April 2014. Der Sachverständige hat dargelegt, dass sich die bei dem Kläger bestehende muskuläre Erkrankung kontinuierlich verschlechtert habe. Diese Gesundheitsstörung sei mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten, wobei der genaue Zeitpunkt nicht eindeutig eingeschätzt werden könne. Vorgeschlagen werde die Anerkennung ab Mitte 2013. Von diesem Zeitpunkt an lägen auch die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ vor.

In der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2015 hat der Beklagte erklärt, bei dem Kläger mit Wirkung ab September 2013 einen GdB von 50 anzuerkennen. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen. Im Übrigen verfolgt er sein in erster Instanz geltend gemachtes Beg...

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