Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. freiwillige Versicherung. hauptberuflich selbständig Erwerbstätige. Beitragsbemessung. Mindestbeitrag. Krankengeldbezug. Beitragsfreiheit. Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs 3 S 1 Halbs 2 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler
Leitsatz (amtlich)
§ 8 Abs 3 S 1, 2. Halbsatz der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Orientierungssatz
Auch bei freiwillig Versicherten bleibt nach § 224 Abs 1 S 2 SGB 5 nur das an die Stelle des früher allein beitragspflichtigen Arbeitseinkommens tretende Krankengeld beitragsfrei, während Beiträge auf der Grundlage der Mindesteinnahmen nach § 240 Abs 4 S 1 SGB 5 zu entrichten sind (vgl BSG vom 26.5.2004 - B 12 P 6/03 R = SozR 4-2500 § 224 Nr 1). An diesem Ergebnis ist auch in Anbetracht der "Einheitliche Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)" festzuhalten.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 19. September 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der von der Klägerin während des Krankengeldbezugs zu tragenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (SPV).
Die Klägerin ist seit dem 1. Juni 2010 mit einem Anspruch auf Krankengeld ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Auf der Grundlage von monatlichen Mindesteinnahmen i.H.v. 1.916,25 Euro für hauptberuflich selbständig Erwerbstätige setzte die Beklagte die von der Klägerin zu zahlenden Beiträge auf 322,89 Euro monatlich (285,52 Euro für den Bereich der GKV und 37,37 Euro für den Bereich der SPV) monatlich fest (Bescheid vom 22. April 2010). Wegen einer Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes änderte sich der Beitrag zur GKV ab 1. Januar 2011 auf 297,02 Euro monatlich (Bescheid vom “Februar 2011„). Ausweislich des Einkommensteuerbescheides vom 30. September 2010 erzielte die Klägerin im Jahre 2009 Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmerin i.H.v. 12.171 Euro (dies entspricht monatlichen Einkünften von 1.014,25 Euro).
Aufgrund einer am 5. März 2011 beginnenden Arbeitsunfähigkeit bezog die Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 16. April 2011 bis zum 12. Oktober 2012 in Höhe von kalendertäglich 23,67 Euro brutto (23,37 Euro netto) bzw. - ab dem 1. März 2012 - 24,21 Euro brutto (23,90 Euro netto).
Mit Bescheid vom 17. Mai 2011, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 20. August 2011 - beide Bescheide ergingen auch im Namen der Pflegekasse -, setzte die Beklagte den von der Klägerin zu zahlenden monatlichen Beitrag ab dem 1. Mai 2011 auf 157,40 Euro (139,81 Euro GKV, 17,59 Euro SPV) fest, weil vor dem “Krankentagegeld„ beitragsrechtlich zu berücksichtigende fiktive Einnahmen (z.B. der Aufstockungsbetrag zwischen dem tatsächlichen Einkommen und der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage) auch in der Zeit des “Krankentagegeldbezugs„ beitragsrechtlich zu berücksichtigen seien. Da die tatsächlichen Einkünfte der Klägerin die Mindestbemessungsgrundlage unterschritten, seien in der Zeit des Krankengeldbezuges aus dem Aufstockungsbetrag von 902 Euro (= 1.916,25 Euro - 1.014,25 Euro) weiterhin Beiträge zu entrichten.
Das Sozialgericht hat entsprechend dem klägerischen Antrag die Bescheide vom 17. Mai 2011 und 20. August 2011 durch Urteil vom 19. September 2014 aufgehoben und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVGrSz) des Beigeladenen bildeten als untergesetzliche Norm eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Jedoch ergebe sich aus diesen Grundsätzen nicht, dass der Aufstockungsbetrag beim Bezug von Krankengeld der Beitragspflicht unterliege. Ergäbe sich dies aus den Grundsätzen, verstieße es gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Wortlaut von § 8 Abs. 3 Satz 1, 2. Hs. BVGrSz spreche dafür, keine fiktiven Einkommensbestandteile bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen. Hätte der Beigeladene die Berücksichtigung fiktiven Einkommens anordnen wollen, wäre eine ausdrückliche Formulierung zu erwarten gewesen. Selbst wenn die BVGrSz in diesem Sinne auszulegen sein sollten, verstieße dies gegen den Gleichheitsgrundsatz. Denn Personen, die wie die Klägerin Einkommen unterhalb der Mindestbeitragsbemessungsgrenze erzielten, würden ohne sachlichen Grund schlechter gestellt als Personen, die Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze erzielten. Letztere müssten während des Bezugs von Krankengeld - anders als die zuerst genannte Gruppe - keine B...