Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen G. erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. chronisch-rezidivierende multifokale Osteomyelitis (CRMO). Einschränkung des Gehvermögens. schubförmiger Krankheitsverlauf. Schmerzschübe in mittlerer Häufigkeit. Vergleichbarkeit mit den Regelbeispielen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung
Orientierungssatz
1. Der Wortlaut von § 146 Abs 1 S 1 SGB 9 (wonach in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer “nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden„) lässt keinen Raum für die Annahme, es sei ausreichend, dass das “Unvermögen„ nur zeitweise vorliegt.
2. Die Schmerzschübe einer chronisch-rezidivierenden multifokalen Osteomyelitis (CRMO), dh einer schmerzhaften Knochen(mark)entzündung, sind im Hinblick auf die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) nicht mit Anfallsleiden nach Teil D Nr 1 Buchst f der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VersMedV) vergleichbar, soweit mit ihnen nicht die Gefahr von Bewusstseinsverlust oder Stürzen verbunden ist.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2013 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Bei der 1982 geborenen Klägerin wurde im Jahr 2007 eine chronisch-rezidivierende multifokale Osteomyelitis (CRMO) diagnostiziert. Bestätigt wurde diese Diagnose im Rahmen einer stationären Behandlung im C für Innere Medizin und Dermatologie vom 7. bis 8. Dezember 2007. Im Arztbrief zu dieser Behandlung wurde die Anamnese wiedergegeben, nach der die Klägerin über einen seit acht Jahren bestehenden Dauerschmerz in der linken Clavicula sowie Schmerzen beim Hinlegen oder auch bei Wirbelsäulenrotation im Bereich der Brustwirbelsäule klage. Seit ca. acht Jahren sei es schubweise ca. alle vier bis fünf Wochen zu verstärkten Schmerzen vor allem im Bereich der linken Clavicula gekommen, die dazu führten, dass die Klägerin ihren Kopf nicht mehr bewegen könne. Ein Schub Anfang September habe mehr als vier Wochen gedauert. In dem Arztbrief wird ein Befund über eine Ganzkörper-Szintigraphie vom 8. November 2007 wiedergegeben, nach dem multiple ossäre Herde (linke Clavicula parasternal, Brustwirbelkörper 4-7, rechte Scapulaspitze, 1. Rippe rechts ventral sowie suspekter Übergang L5/S1) vereinbar mit einer CRMO seien.
Ein medikamentöses Therapiekonzept, das die Klägerin mit dem Professor für Innere Medizin Prof. Dr. S festgelegt hatte, blieb ohne Erfolg. Prof. Dr. S diagnostizierte mit Brief vom 30. September 2008 ein Spätstadium einer linksseitigen Sternokostoklavikulären Hyperostose (SCCH) mit distruktiver SC-Arthrose, regeneriert mit Pseudoarthrose, im Rahmen einer CRMO. Daneben diagnostizierte er ein Anterior-Chestwall-Syndrom (ACW-Syndrom). Nach Versagen der medikamentösen Therapie sei nur noch ein operativer Versuch (Thorax-Chirurg) möglich. Er umschrieb den Fall als seines “Wissens bislang nahezu beispiellos„.
Auf einen zwischenzeitlich gestellten Rentenantrag der Klägerin holte die Deutsche Rentenversicherung ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. T vom 28. November 2008 ein, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 21. November 2008 erstellte und in dem er zu der Einschätzung gelangte, die Klägerin könne wegen einer CRMO mit Hauptlokalisation in der linken Clavicula und einer Dekonditionierung auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter 3 Stunden täglich tätig sein.
Mit Bescheid vom 23. Dezember 2008 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines Leistungsfalles am 2. Juni 2008 für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2010.
Ihrem Weiterbewilligungsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung vom 11. Februar 2010 fügte die Klägerin, die sich am 1. September 2009 einer “offen chirurgischen Synovektomie„ unterzogen hatte, unter anderem eine “fachärztliche Befundung und kompetente Begutachtung des Krankheitsbildes„ der Klägerin von Prof. Dr. S vom 26. Januar 2010 bei. Dieser bestätigte die Diagnose einer CRMO, hier in Form einer zu Rezidiven neigenden, meistens an mehreren und wechselnden Knochenherden auftretenden sterilen Knochenmarkentzündung, hier vom pelvino-vertebro-sternalen Lokalisationstyp, entzündlich hochaktiv geblieben im ACW-Bereich und hier verschlimmernd geprägt durch den dabei seltenen Typ der sterno-kosto-klavikulären Hyperostose (SCCH), da...