Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer selbständigen Regelungsbefugnis der Widerspruchsstelle des Rentenversicherungsträgers - Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts
Orientierungssatz
1. Im Rentenverfahren ist die Entscheidung der Widerspruchsbehörde auf den durch den Widerspruch vorgegebenen Rahmen beschränkt. Deshalb darf die Widerspruchsbehörde einen Widerspruch nicht zum Anlass nehmen, rechtlich selbständige Regelungen zu treffen, die über den Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts hinausgehen.
2. Damit ist eine ursprüngliche sachliche Verwaltungszuständigkeit der Widerspruchsstelle nicht gegeben (BSG Urteil vom 20. 3. 2013, B 5 R 16/12 R).
3. Im Übrigen genügt ein Verwaltungsakt nur dann dem Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit i. S. des SGB 10, wenn die von ihm getroffene Regelung, die verfügte Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2018 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2015 in der Fassung der Bescheide vom 17. November 2015 und 24. Mai 2016 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Teilaufhebung einer Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM) und eine insoweit für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 28. Februar 2015 geltend gemachte Erstattungsforderung in einer Höhe von 2.606,42 €.
Die 1953 geborene Klägerin bezog von der Beklagten seit 1. Juni 2009 bis 31. Mai 2015 Rente wegen voller EM, zuletzt vor den hier angefochtenen Teilaufhebungsentscheidungen wegen anzurechnenden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ab 1. Juli 2013 iH eines mtl Zahlbetrages von 644,79 € und ab 1. Juli 2014 iHv mtl 655,56 € (Bescheide vom 29. Mai 2013 und 3. Juni 2014 über die Neuberechnung für die Zeit ab 1. Januar 2012; Rente iHv drei Vierteln). Nach Vorlage einer Provisionsabrechnung vom 28. Januar 2014 im Januar 2015 stellte die Beklagte die Rente mWv 1. März 2015 als Rente iH der Hälfte neu fest (Zahlbetrag ab 1. März 2015 = mtl 461,17 €).
Nach Anhörung der Klägerin und Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2013 hob die Beklagte sodann mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 den „Rentenbescheid vom 03.06.2014…hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.07.2013 nach § 48 SGB X“ auf und forderte für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 28. Februar 2015 Erstattung überzahlter Rentenbeträge iHv 4.325,86 €; ferner stellte sie die EM-Rente als Rente iHv drei Vierteln (1. Januar 2013 bis 30. Juni 2013) bzw als Rente iH der Hälfte (1. Juli 2013 bis 28. Februar 2015) neu fest. Im Widerspruchsverfahren erteilte die Beklagte den Bescheid vom 17. November 2015, mit dem sie verlautbarte, dass die Rücknahme nach Maßgabe von § 45 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erfolge und „der damalige Rentenbescheid vom 29.05.2013 mit Wirkung ab 01.07.2013 anstatt der Bescheid vom 03.06.2014“ zurückzunehmen gewesen sei. Mit Bescheid vom 24. Mai 2016 stellte die Beklagte die EM-Rente schließlich für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 28. Februar 2015 erneut fest, und zwar - für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 28. Februar 2014 wie vor der Teilaufhebung - als Rente iHv drei Vierteln bzw im Übrigen als Rente iH der Hälfte (1. März 2014 bis 28. Februar 2015). Die für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 28. Februar 2014 errechnete „Nachzahlung“ verrechnete sie mit der geltend gemachten Erstattungsforderung, die sich damit auf 2.606,42 € reduzierte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2017 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Der Bescheid vom 3. Juni 2014 sei zutreffend mWv „01.02.2014“ zurückgenommen worden, weil aufgrund des erzielten Hinzuverdienstes aus selbständiger Tätigkeit Anspruch auf volle EM-Rente nur noch iH der Hälfte bestanden habe. Die Klägerin habe gewusst, dass das erzielte Einkommen Einfluss auf die Rentenhöhe gehabt habe und zu einer Minderung haben führen können. Die überzahlte Rente sei nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu erstatten.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2015 in der Fassung der Bescheide vom 17. November 2015 und 24. Mai 2016 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 29. November 2018) und ist im Wesentlichen der Begründung der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid gefolgt.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Auf die Berufungsbegründung vom 10. Mai 2019 wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2015 in der Fassung der Bescheide vom 17. November 2015 und 24. Mai 2016 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 aufzuheben.
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