Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. Unterkunftskosten. Mietvertrag unter Verwandten. Rechtsbindungswille. Nichtübertragbarkeit der Rechtsprechung zum Fremdvergleich
Orientierungssatz
1. Vereinbarungen unter Verwandten über die Überlassung von Wohnraum können unabhängig von einem Fremdvergleich Rechtsgrundlage dafür sein, dass der Grundsicherungsträger tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu übernehmen hat, wenn ein entsprechender rechtlicher Bindungswille besteht (vgl BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 1/11 B unter Hinweis auf die Urteile des BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 37/08 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 15 und vom 7.5.2009 - B 14 AS 31/07 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 21).
2. Tatsächliche Aufwendungen für eine Wohnung liegen nicht nur dann vor, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reicht es aus, dass er im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (vgl BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 37/08 R aaO).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. November 2012 und der Bescheid des Beklagten vom 4. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2012 geändert.
Der Beklagte wird verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme bzw. Aufhebung der Bescheide vom 14. April 2010 und 10. Mai 2010, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2010, bei der Berechnung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 1. Mai 2010 bis zum 30. September 2010 in Höhe von monatlich insgesamt 110,- Euro und für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 30. April 2011 in Höhe von monatlich weiteren 175,28 Euro zu berücksichtigen.
Der Bescheid vom 21. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2012 und der Bescheid vom 20. April 2012 werden geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis zum 30. April 2012 bei der Berechnung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich weiteren 175,28 Euro zu berücksichtigen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung höherer Kosten der Unterkunft (KdU) bei der Berechnung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit von Mai 2010 bis April 2012, teilweise im Wege der Überprüfung.
Der 1966 geborene, also jetzt 48 Jahre alte Kläger steht seit dem Jahr 2001 unter Betreuung seiner Schwester, S, für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung (im hier interessierenden Zeitraum), Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten. Er wohnt seit dem Jahr 2003mit ihr und seinem Schwager zusammen in einem Haus, das bis zum Jahr 2013 im Eigentum der Betreuerin und ihres Mannes stand, seitdem steht es im Eigentum der Tochter der Betreuerin. Der Kläger leidet seit seiner Kindheit an einer geistigen Behinderung. Für ihn ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt. Nach Angaben seiner Betreuerin kann er nicht lesen und nicht schreiben und war nie erwerbstätig. Er kann Essen zubereiten, man müsse ihn jedoch dabei beaufsichtigen. Der Kläger bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die lediglich als Auffüllbetrag gezahlt wird, also auf einer ursprünglichen Rentenzahlung in der damaligen DDR beruht.
Bei seinem Erstantrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem damals geltenden Grundsicherungsgesetz (GruSiG) legte der Kläger einen Mietvertrag vor, wonach seine Betreuerin ihm ein Zimmer, Küche, Bad in der D in M zu einer monatlichen Miete von 100,00 Euro vermietete. Dieser Mietvertrag sollte ab 01. Februar 2003 gelten. Er war unterschrieben von der Betreuerin und dem Kläger. Mit Bescheid vom 17. Juli 2003 bewilligte der Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen ab 01. März 2003. Dabei wurden zunächst KdU in Höhe von 100,00 Euro berücksichtigt. Ab 01. März 2004 wurde, erneut durch Vertrag zwischen der Betreuerin und dem Kläger, die Miete auf 110,00 Euro erhöht und im Folgenden von dem Beklagten als KdU berücksichtigt.
In den Akten des Beklagten findet sich ein Bericht über einen Hausbesuch vom 27. Mai 2005. Nach diesem bewohnte der Kläger lediglich ein eigenes Zimmer von ca. 12 qm Wohnfläche. Die Betreuerin gab gegenüber dem Sozialarbeiter an, den Bruder vor ca. vier Jahren zu sich genommen zu haben, da sein Vater, bei dem er zuvor gelebt habe, verstorben sei und der Bruder nicht allein im Haus weiter hätte wohnen können.
Mit Bescheid vom 14. April 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom “01.03.2003„ bis 30. April 2011, für den Monat Mai 2010 in Höhe von 182,39 Euro. Kosten der Unterkunft wurden in Höhe von 110,00 Euro (Mietkosten...