Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Krankenhaus. Abrechnung ambulanter Notfallbehandlungen. sachlich-rechnerische Berichtigung. Nachvergütung aufgrund Höherbewertung der Punktzahlen. erstmalige Erhebung des Investitionskostenabschlags gem § 120 Abs 3 S 2 SGB 5 im Widerspruchsverfahren. Grundsätze der reformatio in peius. Bindungswirkung des Honorarbescheids. vierjährige Ausschlussfrist. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Hat ein vertragsärztlicher Leistungserbringer einen Honorarbescheid nur hinsichtlich konkreter Abrechnungsziffern, deren Abrechnung im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung im Honorarbescheid abgelehnt wurde, angefochten, kann die KÄV eine erst im Rechtsbehelfsverfahren erfolgende Schmälerung des Rest-Honorars nur unter den Voraussetzungen der reformatio in peius rechtmäßig vornehmen.
Orientierungssatz
1. Die nachträgliche Korrektur eines Honorarbescheids ist ua nicht mehr nach den Vorschriften über die Sonderinstrumente der sachlich-rechnerischen Richtigstellung, sondern nur noch unter Berücksichtigung der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs 2 S 3 iVm Abs 4 S 1 SGB 10 möglich, wenn die Frist von vier Jahren seit Erlass des betroffenen Honorarbescheids bereits abgelaufen ist (vgl BSG vom 25.3.2015 - B 6 KA 22/14 R = SozR 4-2500 § 85 Nr 82 RdNr 26, 27).
2. Der bis zum 31.12.2015 gem § 120 Abs 3 S 2 SGB 5 zu erhebende Investitionskostenabschlag sah bei öffentlich geförderten Krankenhäusern zum Ausgleich für die staatliche Investitionsförderung eine Vergütungskürzung vor, er stand also in keinem Zusammenhang zur Art der konkret erbrachten Leistungen. Normzweck der Regelung war es vielmehr, Doppelfinanzierungen von Investitionen zum einen aus öffentlichen Steuermitteln, zum anderen über den Investitionskostenanteil in den vertragsärztlichen Gebühren zu vermeiden.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2019 geändert.
Die Beklagte wird unter Änderung der Honorarbescheide für die Quartale III/2007 und IV/2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2017 verurteilt, der Klägerin eine weitere Vergütung der Notfallbehandlungen innerhalb der Zeiten des organisierten Notfalldienstes in Höhe von 12.885,71 Euro für das Quartal III/2007 und in Höhe von 15.841,98 Euro für das Quartal IV/2007 zu zahlen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Beklagte 25 Prozent und die Klägerin 75 Prozent.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung für die Quartale III/2007 sowie IV/2007 und in der Berufung allein noch über die Frage, in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, den Investitionskostenabschlag zu berücksichtigen.
Die Klägerin ist Trägerin des im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) gelegenen und zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses V. Dieses nahm in den beiden streitbefangenen Quartalen im Rahmen der Erbringung von ambulanten Notfallbehandlungen mit einer Erste-Hilfe-Stelle im Verwaltungsbezirk Neukölln an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Für die dort in den Quartalen III/2007 und IV/2007 bei gesetzlich Krankenversicherten vorgenommenen ambulanten Notfallbehandlungen rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten im Quartal III/2007 die für die Leistungen im Notfall und im organisierten ärztlichen Notfalldienst vorgesehenen Pauschalen mit den Gebührennummern 01210 - 01217 EBM (Komplex im organisierten Not[fall]dienst) ab, die im EBM 2000plus in der 2007 geltenden Fassung mit zwischen 100 Punkten (Nr. 01215) und 500 Punkten (Nrn. 01217 und 01210) bewertet waren (im Quartal III/2007 5.157 abgerechnete Fälle und 1.031.400 Punkte, im Quartal IV/2007 6.646 abgerechnete Fällen und 1.329.200 Punkte).
Die Beklagte „wandelte“ diese Abrechnungen der Notfallbehandlungen im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung jeweils gemäß dem seit dem 1. April 2005 gültigen EBM2000 plus einheitlich in die mit 200 Punkten und damit regelhaft niedriger bewertete Gebührennummer 01218 EBM-Ä (Notfallbehandlung von nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten, Instituten und Krankenhäusern) um und berechnete die Punkte gemäß dem seit 1. April 2005 geltenden Honorarverteilungsvertrag (HVV) mit einem Punktwert in Höhe von 4,15 Cent. Für das Quartal III/2007 ermittelte sie eine Vergütung für die Notfallleistungen in Höhe von 42.479,40 Euro, für das Quartal IV/2007 in Höhe von 55.161,80 Euro (Anlage zum Widerspruchsbescheid).
Die Beklagte setzte für die Klägerin zur Arztnummer für das Quartal III/2007 ein Gesamthonorar in Höhe von insgesamt 126.757,12 Euro und für IV/2007 in Höhe von 154.389,77 Euro fest.
Für die beiden Quartale nahm sie in einem als „Anlage zur Rechnungszusammenstellung“ bezeichneten jeweils eigenen Bescheid zum Honorarbescheid...