Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Apotheker. Arzneimittelabgabe. Vergütungsanspruch. Retaxierung. Fertigarzneimittel. Zulassungspflicht. Übergangsvorschrift des § 141 Abs 4 AMG (juris: AMG 1976). Verordnungsfähigkeit. Überprüfung durch Apotheken. arzneimittelrechtliche Zulassung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 141 Abs 4 AMG 1976 dürfen Fertigarzneimittel, die sich am 5.9.2005 im Verkehr befunden haben und nach dem 6.9.2005 nach § 4 Abs 1 AMG 1976 erstmalig der Zulassungspflicht nach § 21 AMG 1976 unterliegen, weiter in den Verkehr gebracht werden, wenn für diese bis zum 1.9.2008 ein Zulassungsantrag gestellt worden ist.

2. Nach § 4 Abs 5 S 4 des Arzneilieferungsvertrags (idF vom 1.7.2005 bzw 1.10.2008) zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV und dem Deutschen Apothekerverband eV (ALV) sind die Apotheken nicht umfassend zur Überprüfung der Verordnungsfähigkeit des verordneten Mittels verpflichtet.

3. Grundsätzlich kann aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Arzneimittels, sofern hierbei dessen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklich geprüft worden ist, die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gefolgert werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.03.2019; Aktenzeichen B 3 KR 23/18 B)

 

Tenor

Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 9.254,30 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 9.254,30 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit stehen sogenannte Retaxierungen in Höhe von 9.254,30 Euro.

Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke i. Sie gehört einem Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes e. V. (DAV) an, dem Apothekerverband B e. V. Sie gab auf Verordnung des Facharztes für Pädiatrie B im Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010 insgesamt zehnmal das Arzneimittel Oxybutynin® 0,1% à 10 ml zur Injektion an die bei der Beklagten Versicherte S ab. Es handelte sich um Fertigspritzeninstillationssets, welche von der G Apotheke H hergestellt worden waren.

Diese Installationssets waren nach damaligem Arzneimittelrecht als sogenanntes Rezepturarzneimittel bereits am 5. September 2005 im Verkehr gewesen.

Am 26. August 2008 war beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Zulassungsantrag gestellt worden.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 9. April 2009 mit, für die Monate Mai 2008 und Juni 2008 auf der Grundlage des Arzneilieferungsvertrages zwischen dem DAV und dem Verband der Angestelltenkrankenkassen e. V. (ALV) sowie dem Rahmenvertrag nach § 129 SGB V 925,43 Euro absetzen (retaxieren) zu wollen.

Die Klägerin widersprach: Beim dem Präparat handele es sich um ein gelistetes, verschreibungspflichtiges Fertigarzneimittel des Herstellers G Apotheke, der über die Herstellerlaubnis nach § 13 Arzneimittelgesetz (AMG) verfüge. Das Präparat könne ausschließlich über diesen Hersteller bezogen werden. Es handele sich dabei um ein niedrig dosiertes Oxybutynin-Präparat, das üblicherweise in der Pädiatrie eingesetzt werde. Es gebe keinen Unterschied zwischen Verkehrsfähigkeit und Zulassung eines Arzneimittels. Die Verkehrsfähigkeit von Oxybutynin ergebe sich aus § 141 Abs. 4 AMG. Auch hätten die Apotheken nicht die Pflicht, eine fehlende Zulassung nach § 21 AMG zu prüfen. Sie habe vertraglich richtig gehandelt. Das streitgegenständliche Fertigarzneimittels sei seit 15. März 2007 in der IFA-Datenbank (der so genannten Lauer-Taxe) als ordentliches Arzneimittel mit der offiziellen PZN 1915747 und dem Status verschreibungspflichtig gelistet.

Die Beklagte antwortete, das retaxierte Arzneimittel sei in Deutschland nicht zugelassen. Maßgeblich sei insoweit alleine der objektive arzneimittelrechtliche Zulassungsstatus. Die bloße Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels, die keinesfalls gleichzusetzen sei mit einer Zulassung, begründe im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenkassen keinen Versorgungsanspruch (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R-zum Arzneimittel Wobe-Mugos E). Ein Antrag auf Zulassung sei von der G Apotheke erst am 26. August 2008 gestellt worden. Damit ergebe sich allenfalls die Rechtsfolge, dass die Sets weiterhin in den Verkehr gebracht werden dürften.

Mit Schreiben vom 5. Juni 2009 teilte die Beklagte der Klägerin ferner mit, für die Monate Juni 2008 und August 2008 weitere Absetzungen in Höhe von 1.878,06 Euro aus demselben Grund vorzunehmen.

Weitere Retaxierungsschreiben folgten mit Datum vom 31. August 2009 über 1.029,16 Euro, vom 16. Oktober 2009 über 1.954,88 Euro, vom 4. Dezember 2009 über 1.035,22 Euro, vom 29. Januar 2010 über 1.856,10 Euro und vom 19. März 2010 über 925,43 Euro. Die Klägerin erhob jeweils Einspruch, den die Beklagte durchweg zurückwies. Insgesamt beliefen sich die streitgegenständlichen Kürzungen auf ...

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