Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbeschädigtenrecht: Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens "G" für erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr

 

Orientierungssatz

Für die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ (Bewegungseinschränkung im Straßenverkehr) zugunsten eines Schwerbeschädigten reicht es nicht aus, dass der Betroffene eine ortsübliche Wegstrecke nicht in einer angemessenen Zeit zurücklegen kann. Vielmehr muss die sich darin manifestierende Bewegungseinschränkung gerade auf behinderungsbedingte Einschränkungen zurückzuführen sein. Bei Wirbelsäulenschäden mit lediglich mittelgradigen funktionellen Auswirkungen, die auf nur einen Wirbelsäulenabschnitt beschränkt sind und Behinderungen an Gliedmaßen, die mit einem GdB von höchstens 30 zu bewerten sind, ist dies nicht gegeben.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Der Beklagte hatte bei der 1950 geborenen Klägerin im Jahre 2004 einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt.

Am 15. Juni 2007 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag, mit dem sie insbesondere die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ begehrte. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten Befundberichte und sonstigen medizinischen Unterlagen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2008 bei der Klägerin einen GdB von 80 fest, lehnte aber die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ ab. Dem legte er folgende (mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde:

a) seelisches Leiden (60),

b) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Tennisarm rechts (30),

c) chronische Bronchitis (20),

d) Ulnaris-Parese links (10),

e) chronische Magenschleimhautentzündung, Fettleber, Stoffwechselstörungen, Adipositas (10),

f) postthrombotisches Syndrom des Beines (10),

g) Bluthochdruck (10).

Mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin weiter das Merkzeichen “G„ begehrt. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Der Beklagte hat das Gutachten der Versorgungsärztin Dr. L vom 13. März 2009 vorgelegt, welche nach allgemeinmedizinischer Untersuchung der Klägerin als weitere Funktionsbeeinträchtigung

h) Harninkontinenz (10).

festgestellt, die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ jedoch verneint hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. März 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens “G„.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2010 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 28. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2008 zu verpflichten, bei ihr ab Juni 2007 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Der Senat hat das Gutachten des Orthopäden Dr. W vom 20. Dezember 2011 eingeholt, der keine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im Straßenverkehr hat feststellen können.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit der angegriffenen Entscheidung zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "G" sind bei ihr nicht erfüllt.

Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX). Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurü...

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