Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimitteltherapie. Fehlen an Zweckmäßig- und Wirtschaftlichkeit. keine zulassungsüberschreitende Anwendung von Wobe Mugos E und keine Leistungsplicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Verordnungsregress. Feststellung eines sonstigen Schadens
Orientierungssatz
1. Es fehlt an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel (hier: Wobe Mugos E) nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, nicht erteilt worden ist (vgl BSG vom 18.5.2004 - B 1 KR 21/02 R = BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1 mit Nachweisen zur stRspr).
2. Die Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Wobe Mugos E für die Behandlung des (metastasierten) Mammakarzinoms liegen nicht vor. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse kommt auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts in Betracht (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
3. Einem auf eine Prüfvereinbarung gestützten Verordnungsregress steht ein unter Umständen fehlendes Verschulden einer Poliklinik ebenso wenig entgegen, wie eine ggf versäumte Antragsfrist bzw vorrangige Beratung oder ein Vertrauenstatbestand (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R = BSGE 106, 110 und vom 5.11.2008 - B 6 KA 38/07 R = BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr 43 mwN).
4. Auf eine Prüfvereinbarung gestützte Anträge auf Feststellung eines sonstigen Schadens und die anschließende Festsetzung einer Schadensverpflichtung sind zumindest dann unschädlich, wenn durch die Krankenkassen die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel beanstandet wird (vgl ua BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R aaO).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2007 wird zurückgewiesen; die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Regress i.H.v. 266,15 € (= 520,55 DM) wegen der Verordnung des Arzneimittels Wobe Mugos E im Quartal I/00.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz (AMG) vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet war die “Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe„.
Die spätere neue Herstellerin, die M P GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status). Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten. S...