Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress. kein Unterliegen eines Verfahrensbeteiligten wegen überlanger Verfahrensdauer. Verordnung des Arzneimittels Wobe Mugos E. Off-Label-Use. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine überlange Verfahrensdauer allein kann nicht zum Unterliegen eines Verfahrensbeteiligten führen.
Orientierungssatz
Zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Verordnung des Präparates Wobe Mugos E.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2007 wird zurückgewiesen. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Regressforderung des Beklagten in Höhe von 1.366,56 € (2.672,75 DM) wegen der Verordnung des Präparates Wobe Mugos Urteil: E.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz ≪AMG≫ vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet war die “Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe„.
Die spätere neue Herstellerin, die M P GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status). Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten. Seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den o.g. Bescheid vom 9. Juni 1998 sei ein Versorgungsanspruch zu verneinen.
Die Klägerin, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren, behandelte seit dem 06. Oktober 1998 die 1943 geborene und zwischenzeitlich - nach Angaben der Beigeladenen zu 2) am 04. Juli 2005 - verstorbene Patientin J M, welche im Jahre 1999 bei der BKK Berlin, einer Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2), krankenversichert war (im folgenden: die Versicherte). Bei dieser waren im Juli 1992 ein invasives Karzinom der rechten Brust und ein nicht-invasives intraduktales Karzinom der linken Brust sowie im Juli 1997 erstmals Metastasen festgestellt worden. Neben dieser Karzinomerkrankung, welche nach Angaben der Klägerseite 1999 in der linken Brust im Stadium pT2N0 und in der rechten Brust im Stadium pT2N1a vorlag, litt die Versicherte darüber hinaus an massiven psychischen Störungen. Im Bestreben, einen tödlichen Ausgang der Karzinomerkrankung durch naturheilkundliche Behandlung zu vermeiden, verordnete die Klägerin der Versicherten neben den Präparaten Iscador, Lymphdiaral, Galium-Heel und Toxex von Beginn ihrer Behandlung an auch Wobe Mugos E.
Wegen der zehnmaligen Verordnung von Wobe Mugos E in der Zeit vom 04. Januar bis zum 18. Oktober 1999 beantragte die BKK Berlin beim Prüfungsausschuss am 21. September 2000 ...